Erstellt von Ulla Arens

Adam, Eva und die Frage der Schuld

Adam und Eva sitzen vor einem Baum mit Apfel
Eva beißt in die verbotene Frucht - und alle Frauen werden bestraft, so interpretieren manche die Bibel

Adam, Eva, der Apfel und die ewige Frage: Hat Eva an allem Schuld? | Foto: shutterstock

Eva, die Sünderin. Eva, die Verführerin. Stimmt das? Die Bibel lässt sich auch ganz anders lesen, sagt die Theologin Marie-Theres Wacker

'Leben jetzt': Mit einer Frau habe die Sünde angefangen, „ihretwegen müssen wir alle sterben“. So steht es im Buch Jesus Sirach. Harte Worte.
Marie-Theres Wacker:
Allerdings. Aber in der Paradiesgeschichte, also in Genesis 2,4b-3,24, wird Eva an keiner Stelle der Sünde bezichtigt. Erst bei Kain ist von Sünde die Rede. In Gen 4,7 spricht Gott zu Kain: „Sei vorsichtig, die Sünde lagert vor Deiner Tür.“ Der Brudermord ist also die erste Sünde. Aber weil sich die Formulierungen vom Begehren der Sünde nach Kain – in der Brudermordgeschichte – und vom Begehren der Frau nach dem Mann – in der Paradiesgeschichte – sehr ähneln, hat Jesus Sirach das Motiv der Sünde auf die Frau übertragen. Was ich übrigens interessant finde: Das Buch Jesus Sirach wurde nicht in die jüdische Bibel aufgenommen.

Lj: Aber auch wenn der Begriff Sünde in der Paradiesgeschichte nicht vorkommt – es war ja Eva, die sich von der Schlange verführen ließ.
Wacker:
Bevor man sie verurteilt, sollte man sich die Motive der Frau, die übrigens erst später den Namen Eva erhielt, genauer ansehen. Es sind drei Aspekte, die sie nach der Frucht greifen und damit gegen Gott ungehorsam werden lassen: Die Frucht ist schön, lecker und macht klug. Der Sinn für Schönheit, das praktische Wissen um Geschmack und Nahrung, aber vor allem das Streben nach Klugheit gehören elementar zum Menschsein dazu. Wir tun gut daran, nach Weisheit zu streben. Das wird auch an anderen Stellen der Bibel betont. Das Problem dabei: Man soll sich von Gott leiten lassen, und später hat sich die Kirche zur Kontrollinstanz gemacht. Also nicht eigenmächtig und selbstbestimmt nach Weisheit streben, wie es die Frau tut – und wie es seit der Aufklärung selbstverständlich ist.

Lj: Und welche Rolle spielt Adam?
Wacker:
Eine passive. In der Paradiesgeschichte steht er neben Eva, greift nicht ein, sagt nichts, lässt sich nur füttern. Warum? Bemerkenswert ist, dass die Frau aktiv und couragiert ist, nicht der Mann. An ihr wird die Menschwerdung festgemacht – die nicht denkbar ist ohne Entscheidungsfähigkeit. Um auf das Motiv der Verführung zurückzukommen: Ja, Eva hat verführt. Und zwar zum Menschsein.

Lj: Aber sie wird für ihr Handeln bestraft.
Wacker:
Sie landet mit Adam im konkreten mühsamen Alltag einer israelitischen Bauernfamilie, muss unter Schmerzen Kinder gebären. Das ist die eine Seite. Dagegen wird aber auch etwas ganz Großartiges gestellt. Als sie Kain gebiert, sagt sie laut Gen 4,1: „Ich habe einen Mann erworben mit Gott.“ Das heißt: Sie ist Spenderin des Lebens durch Gottes Hilfe. Und nicht nur das. Durch sie haben die Menschen die Fähigkeit erworben, Gut und Böse zu unterscheiden. Sie hat uns damit die Fähigkeit zur Moral gegeben.

Lj: Trotzdem ist sie von Anfang an dem Mann nicht gleichgestellt, sondern aus seiner Rippe geformt.
Wacker:
Das kann man auch anders lesen. Das Wort „adam“ beruht nämlich auf einem Wortspiel. Der erste Mensch wird aus adamah geschaffen, was auf Hebräisch „Erdboden“ heißt und weiblich ist. Adam ist demnach kein Mann mit dem Namen Adam. Das Wort lässt sich als „Erdling“ übersetzen. Und statt „Rippe“ lässt das Hebräische auch die Übersetzung „Seite“ zu. Nach einer jüdischen Tradition formt Gott aus der einen Hälfte isch – den Mann –, aus der anderen ischa – die Frau. Aus dem Erdling, der noch beide Geschlechter in sich vereint, entstehen Mann und Frau also gleichzeitig und nicht nacheinander. Fatal ist, dass der Mann später wieder Adam heißt, dadurch entsteht eine Unschärfe im biblischen Text. Auf der anderen Seite stützt aber der erste Schöpfungsbericht, also Gen 1,1-2,4a, die Gleichheit und Gleichzeitigkeit von Frau und Mann.

Lj: Inwiefern?
Wacker:
In Gen 1,27 heißt es: „Gott schuf also den Menschen (= adam) als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Männlich und weiblich schuf er sie.“ Gott schuf also männliche und weibliche Menschen gleichzeitig und auf Augenhöhe miteinander. Beide sollen über die Welt herrschen. Weil aber die Paradiesgeschichte direkt danach steht, wurde beides schon zur Zeit Jesu als zusammengehörige Geschichte gelesen. Dabei stammen sie von unterschiedlichen Autoren. Das heißt, adam, der Mensch, wurde auch in der ersten Geschichte dem Verständnis nach zum Mann.

Lj: Doch nach dem sogenannten Sündenfall ist die Frau dem Mann untergeordnet.
Wacker:
Aber diese Unterordnung war ja nicht von Gott gewollt, sondern ist Merkmal der Welt, in der die Menschen des Alten Israel leben. Die Bibel empfindet anscheinend, dass das nicht die beste aller Welten ist.

Lj: Aber im Neuen Testament wurde die Rolle der Frau als Sünderin und als dem Mann Untergebene festgeschrieben.
Wacker:
Das haben wir Paulus zu verdanken. In seinen Briefen und denen seiner Schüler wird die Unterordnung der Frau unter den Mann mit verschiedenen Argumenten begründet. Das hat im Christentum gewirkt. Paulus hat aber auch gesagt, dass in der Gemeinschaft der Getauften „nicht mehr männlich und weiblich ist, sondern ihr alle seid eins in Christus“. Daran könnte man anknüpfen.

Lj: Zurück zur ­Paradiesgeschichte: Darin wird Eva auch als Verführerin gesehen, das Sexuelle spielt also mit hinein. Woher kommt das?
Wacker:
Das Motiv der Sexualität klingt mit, das ist richtig. Beispielsweise wurde die Schlange in vielen alten Kulturen mit weiblichen Gottheiten und Sexualität in Verbindung gebracht. Und das Wort „Erkennen“ wird in der Bibel auch für den Geschlechtsverkehr gebraucht. So heißt es ja schon gleich in Gen 4,1: „Adam erkannte Eva, und sie wurde schwanger und gebar den Kain.“ Für den Kirchenlehrer Augustinus ist der Sexualakt Indiz dafür, dass Menschen den freien Willen verloren haben, sich für das Gute zu entscheiden. Denn dabei wird ja der Wille außer Kraft gesetzt und die Lust gewinnt die Oberhand. Nach seinem Denken hat Eva die Erbsünde zu verantworten, die letztlich durch den Sexualakt weitergegeben wird. Damit hat Augustinus die Sexualfeindlichkeit in der Kirche maßgeblich verbreitet.

Lj: Welche Folgen hatte die traditionelle Lesart der Paradies­geschichte für die Frauen?
Wacker:
Bis ins 20. Jahrhundert wurden die Frauen in der christlich geprägten Welt mit dem Segen Gottes kleingehalten – in der Gesellschaft wie in der Kirche. Noch in den 1950er-Jahren hat sich die katholische Kirche gemeinsam mit den konservativen Parteien dagegen gewehrt, dass die Frauen in der Familie die gleichen Rechte bekommen wie die Männer. Mit dem zunehmenden Verlust der gesellschaftlichen Macht der Kirche hat sich das geändert.

Lj: Anders innerhalb der Kirche selbst.
Wacker:
Das stimmt. Da wird den Frauen immer noch mit Vorbehalt begegnet, wenn sie auf gleichen Rechten bestehen. Für die Kirche greifen Frauen, die Zugang zu den geistlichen Ämtern fordern, nach einer verbotenen Frucht. Aber vielleicht ist diese Frucht ja freigegeben für alle? 

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Unsere Gesprächspartnerin

Marie-Theres Wacker war ab 1998 Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster sowie ab 2007 Direktorin des Seminars für Exegese des Alten Testaments und Leiterin der Arbeitsstelle Feministische Theologie und Genderforschung. Sie ist inzwischen emeritiert.

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