Indien: Wo Lernen ein Privileg ist, helfen die Steyler
Die staatlichen Schulen Indiens sind schlecht. Damit ihre Kinder trotzdem einen guten Abschluss bekommen, schicken ihre Eltern sie in Nachhilfeschulen. Eine davon, in einem Slum von Mumbai, haben die Steyler Missionare gegründet. Wir waren zu Besuch im Klassenzimmer
Die Situation an staatlichen Schulen in Indien ist oft schwierig: Die Regierung stellt für diese Schulen viel zu wenig Geld zur Verfügung. Die Klassen haben 60 und mehr Schülerinnen und Schüler, es gibt zu wenig und zu schlecht ausgebildete Lehrer, sehr viel Unterricht fällt aus.
Nachhilfeinstitute versuchen deshalb überall im Land, den Mangel an Schulbildung aufzufangen. Wer wohlhabend ist, schickt seine Kinder ohnehin auf private Schulen, die viel besser sind. Doch dieses Geld haben Eltern in den Slums von Mumbai nicht. Hier kommt Ranjana ins Spiel. Sie gibt den etwa 30 Kindern in ihrer eigenen, engen Wohnung im Slum Nachhilfe, sechsmal die Woche für jeweils zwei Stunden. Die Kinder sind hier, um zu lernen. Erwartungsvoll schauen sie zu der 35-Jährigen hoch.
Unterricht in allen Fächern - und Gleichberechtigung
Mit einem Holzlineal klopft Ranjana an den Kleiderschrank, damit Ruhe einkehrt und der Unterricht beginnen kann. Ihn so zu gestalten, dass Kinder bis einschließlich Klasse fünf davon profitieren, ist schwer. Einige beherrschen noch nicht einmal Hindi, die Sprachenvielfalt in Indien ist groß. Ranjana gelingt es trotzdem, alle mitzunehmen. Ranjana unterrichtet alle Fächer. Auch das Thema Gleichberechtigung spricht sie immer wieder an – das ist dringlich in Indien. Als Erstes wird heute gemeinsam gerechnet. An die kleine Tafel an der strahlend blauen Wand schreibt sie einige Aufgaben. Sofort schnellen viele Arme hoch. Die Mädchen und Jungen sind voll bei der Sache, wollen beweisen, was sie können. Keiner stört, keiner langweilt sich. Hier zu sitzen ist für sie ein Privileg.
Das verdanken sie der Steyler Organisation Sarva Seva Sangh, deren Name sich mit „Allen zu Diensten“ übersetzen lässt. Sie wurde 2003 in Mumbai gegründet und setzt sich vor allem für Bildung der Kinder aus den Slums ein. Es gibt einen gut ausgestatteten Kindergarten auf dem Gelände der Steyler Missionare, den etwa 70 Kinder besuchen. Außerdem eine Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten. 15 Jungen und Mädchen profitieren derzeit von diesem Angebot. Für Schulabbrecher werden unterschiedliche Computerkurse angeboten, was ihnen hilft, eine Arbeit zu bekommen. Und dann ist da noch die Nachhilfeschule.
Es ist die einzige in diesem Slum, in dem etwa 3.000 Menschen leben. „Dort zu lernen bietet den Kindern Schutz. Und Hoffnung auf ein besseres Leben“, sagt Pater Joe Prabhu SVD, der Leiter von Sarva Seva Sangh. Schutz, weil das Leben im Slum für Kinder gefährlich ist. Beim Lernen in Ranjanas Wohnung sind sie sicher. Schulischer Ehrgeiz wappnet die Jungen dagegen, zu Alkohol und Drogen zu greifen, die dort weit verbreitet sind und schnell zu Abhängigkeit und Kriminalität führen. Für Mädchen ist die Gefahr groß, in die Prostitution zu rutschen. „Nur wenn die Kinder im indischen Bildungssystem erfolgreich bestehen, haben sie die Chance auf eine besser bezahlte Arbeit als die ihrer Eltern“, so der Priester. Auf einen Job, der es ihnen eines Tages ermöglichen wird, dem Leben im Slum zu entfliehen. Gerade sucht seine Organisation nach größeren Räumen für die Nachhilfe, damit noch mehr Kinder profitieren können.
Mumbai
Stadt der Kontraste
Mit 20 Millionen Einwohnern ist Mumbai, das bis 1995 Bombay hieß, die größte Stadt Indiens und die Hauptstadt des Bundesstaates Maharashtra. Zählt man die Außenbezirke im Norden dazu, sind es sogar über 28 Millionen Einwohner.
Mumbai ist Indiens Zentrum für Wirtschaft, Handel, Mode und Film. Superreiche und Arme wohnen in direkter Nachbarschaft, Luxushochhäuser stehen neben Slums.
Die UN definiert einen Slum als eine „überfüllte, ärmliche bzw. informelle Unterkunft ohne angemessenen Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sowie ungesicherter Verfügungsgewalt über Grund und Boden“. Weltweit lebt beinahe jeder sechste Mensch in so einem Elendsviertel, in Mumbai ist es sogar nahezu jeder zweite.
Ungefähr 2000 solcher Slums soll es in der Stadt geben. Der größte von ihnen – mit etwa einer Million Bewohnern – ist Dharavi. Bekannt wurde er durch den Film „Slumdog Millionaire“.
Spenden
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