Bewährungshilfe mit Hunden
Ein Hund als Bewährungshelfer? Nicht ganz. Aber fast. Hausbesuch bei einem außergewöhnlichen Projekt in der Bewährungs- und Gerichtshilfe
Jan* müsste nicht bei seiner Bewährungshelferin sitzen, er ist bereits ein freier Mann. Aber da ist noch Harald, genannt Harri: Der 10 Jahre alte Wäller-Hund mit dunklem, zotteligem Fell stürzt sich begeistert auf den 32-Jährigen. Die beiden kennen sich, seit Jan die Bewährungshilfe begonnen hat; seither besucht Jan den Hund immer wieder gern.
Harri wohnt in der Nähe Stuttgarts in einem Haus an einem Ortsrand mit großem, grünem Garten. Außerdem hier zu Hause: Stephanie Ginter, 41, Bewährungshelferin. Sie hat Jan begleitet, als er vor sechs Jahren aus der Justizvollzugsanstalt kam. Warum er dort war, möchte er nicht erzählen. Etwas anderes ist ihm wichtiger: „Ich bin froh und dankbar, dass ich hier in der Bewährungshilfe war. Ohne Harri würde mein Leben heute anders aussehen!“
Resozialisierungshelfer auf vier Pfoten
Auch dort zu finden: Ginters Kollegin Sina Walter und deren Mischlingshündin Pebbles. Gemeinsam haben sie das Pilotprojekt „Resozialisierungshelfer auf vier Pfoten“ gegründet. Da hatte Ginter Harri schon öfter mit ins Büro gebracht. „Ich wollte das ausprobieren – und es war richtig gut, selbst wenn Harri nur in der Ecke lag und nicht aktiv mitgearbeitet hat.“
In Sina Walter hat sie die perfekte Mitstreiterin gefunden. Die 34-Jährige hatte ihre Bachelor-Arbeit zum Thema hundegestützte Interventionen im Strafvollzug geschrieben und sich daher gewundert, wieso es so etwas nicht auch in der ambulanten Straffälligenhilfe gibt. Entsprechend hat sie sich zur Fachkraft für tiergestützte Interventionen fortbilden lassen. Gemeinsam haben sie dann ihre sechs Kolleginnen geschult und arbeiten nun mit den Tieren in der Bewährungshilfe.
Im Garten sitzen drei Menschen und zwei Hunde nun bei Kaffee, Brezeln und Hundeleckerlis zusammen. Sie reden ungezwungen miteinander, aber sie siezen sich. Das muss sein, sagen die Frauen. Professionelle Distanz.
So etwas kennen die Hunde natürlich nicht, sie rennen einander auf der Rasenfläche hinterher. Therapiehunde sind die beiden nicht – sie sind Begleithunde. Eine unabhängige Stelle hat geprüft, dass die zwei einen Grundgehorsam an den Tag legen und Menschen nicht gefährlich werden. Sie dürfen aber ihre Grenzen aufzeigen. „Wir wollen die ehrliche Reaktion der Hunde, auch wenn diese ein kurzes Knurren oder Bellen ist, denn durch diese Reaktion lernen die Klienten. Es ist dabei nicht entscheidend, wie gut eine bestimmte Übung funktioniert, denn auch aus Misserfolgen lässt sich für die Klienten vieles ableiten und erlernen.“
Von den Hunden lernen die Klienten viel über sich selbst
Was sie damit meint, kann sie gleich veranschaulichen: „Pebbles ist eher scheu. Einmal kam ein Klient – groß, muskulös und wütend – in mein Büro. Er knallte die Tür und schimpfte laut. Pebbles hat natürlich Angst bekommen und ist in ihr Bettchen geflüchtet. Das hat den Mann sehr erstaunt. Ihm war gar nicht bewusst, wie wütend er wirkte.“ Im besten Fall können die Klienten durch solche Situationen Selbstreflexion üben und mithilfe von Walter und Ginter die Erkenntnis in ihren Alltag übertragen.
Besonders gut funktioniert die hundegestützte Begleitung, wenn die Klienten an ihrer Emotionsregulation arbeiten müssen, etwa bei Menschen mit Aggressionsproblemen oder Suchtkranken. Das kann Jan bestätigen: „Nach einem Drogenrückfall konnte ich Frau Ginter nicht davon erzählen. Aber Harri hat gespürt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Er hat einfach nicht auf mich gehört. Da hat Frau Ginter dann natürlich gefragt, was los ist – und wir konnten darüber reden.“ Er steckt Harri ein Leckerli zu und sagt: „Ohne ihn wäre es viel schwieriger für mich gewesen, mich zu öffnen.“
Stephanie Ginter erlebt das öfter: „Vielen Klienten fällt es leichter, bei einem Spaziergang mit dem Hund über die Probleme zu sprechen als im Büro.“ Gerade bei Klienten, die bereits Vorurteile gegenüber der Justiz haben, wirke der Hund wie ein Mittelsmann. Manchmal haben insbesondere Menschen mit Hafterfahrung keine große Lust mehr auf Beratungsgespräche. Dann lockert ein Tier die Stimmung – und motiviert. Viele geben sich dann sogar extra Mühe: Der Hund mag den Geruch von Alkohol nicht? Kommen sie eben nüchtern.
Und im Freien können die Klienten auch kleine Übungen mit dem Vierbeiner machen. Wenn’s klappt, dass der Hund etwa auf ihr „Sitz“-Kommando hört, stärkt das das Selbstvertrauen ungemein.
So war das auch bei Jan. Ihm haben Harri und das Projekt geholfen: Heute nimmt er keine Drogen mehr und hält Abstand von ehemaligen Weggefährten. Stattdessen gibt ihm die Kirchengemeinde Halt. Und er hat gelernt, für seine Taten geradezustehen: „Als ich vor ein paar Jahren betrunken mit meinem Roller in ein geparktes Auto gefahren bin, habe ich der Eigentümerin den Schaden gemeldet und selbst die Polizei gerufen.“
Der Hund als Vorbild
Harri kommt an den Tisch, schaut erwartungsvoll. Jan steckt ihm noch ein Leckerli zu. Inzwischen hat sich die schüchterne Pebbles an den Tisch getraut und sich unter die Bank zurückgezogen. Ihre Schüchternheit kann auch zum Vorteil gewandt werden, sagt Sina Walter: „Pebbles funktioniert hier sogar als Vorbild: Wenn sie über sich hinauswächst und mit den Klienten arbeitet, dann können auch die Klienten an sich selbst arbeiten.“ Überhaupt sind Hunde oft Thema in der Beratung, da wird über die Anschaffung eines Hundes beraten oder gleich der eigene Vierbeiner mitgebracht. „Das erleben viele Klienten als Wertschätzung, weil es nicht nur um ihre Bewährung geht“, so Walter. Manche Klienten melden sich ganz bewusst bei ihnen, weil sie am Projekt teilnehmen wollen.
Es gibt auch Ehemalige, die bis heute Kontakt halten. Und öfter bitten, ob sie vielleicht einfach mal so eine Runde mit den Hunden drehen können. Vermutlich, weil es ihnen leichter fällt, nach einem Spaziergang zu fragen als nach einem Beratungsgespräch. Kein Problem, sagen die Frauen dann immer. Sina Walter: „Für uns ist es superschön, langfristige Erfolge zu sehen, darum machen wir das ja.“ Nun steckt Jan auch Pebbles ein Leckerli zu. Auch er hat gebeten, nach Ende seiner Bewährungszeit mit Ginter und Harri in Kontakt bleiben zu dürfen: „Dadurch fühle ich mich stabiler.“
Andere deutsche Bundesländer haben schon bei den „Resozialisierungshelfern auf vier Pfoten“ angefragt. Ihr Erfolg hat sich herumgesprochen. Jan wundert das nicht. Er wuschelt Harri durchs Fell, dann muss er los: Er hat jetzt noch eine Wohnungsbesichtigung.
* Name von der Redaktion geändert
Weitere Informationen zum Projekt, Ansprechpartner und Details finden Sie bei der Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg.