Erstellt von Michael Kreuzer SVD

Pater Kreuzer erklärt die Bibel: Das Gleichnis vom Weinberg

Im Gleichnis vom Weinberg scheint es unfair zuzugehen. Pater Kreuzer erklärt uns die Bibel
Gerechtigkeit neu definiert: Pater Kreuzer weiß, dass Gott ein anderes Verständnis von Fairness hat als wir Menschen

Unterschiedlich viel gearbeitet und trotzdem den gleichen Lohn bekommen - das erscheint uns ganz schön unfair. | Foto: shutterstock

Nicht immer erschließt sich der Inhalt der Bibel beim ersten Lesen. Darum haben wir den Steyler Pater Michael Kreuzer gefragt: Warum erhalten im Gleichnis vom Weinberg alle Arbeiter den gleichen Lohn?

Mein Vater hat darauf eine sehr einfache Antwort gehabt: Weil der Himmel unteilbar ist. Es kommen nicht die einen in den Keller und die anderen ins Penthouse. Im Himmel ist endlich Schluss mit den Ungleichheiten zwischen den Menschen.

So eingängig diese Antwort ist, Jesus spricht in diesem Gleichnis nicht vom jenseitigen Himmel, sondern vom irdischen Reich Gottes. Was ist dann seine Botschaft?

Jesus zieht für dieses Gleichnis nicht die Natur heran, sondern bewusst die Arbeitswelt. In der Arbeitswelt gilt für uns ein eiserner Grundsatz: Der Lohn muss gerecht sein. Das Lohn-Leistungs-Verhältnis muss stimmen. Wir tolerieren zwar viele Ungerechtigkeiten in dieser Hinsicht, dass zum Beispiel Frauen für die gleiche Arbeitsleistung schlechter bezahlt werden als Männer oder dass eine Putzfrau nur einen winzigen Bruchteil von dem ­verdient, was ein Börsenspekulant an Gewinn erzielt, indem er einfach virtuelles Geld hin- und herschiebt. Nichtsdestotrotz halten wir dieses Gesetz für eisern und unser Wirtschaftssystem auf ihm gegründet.

Eben gegen dieses Gesetz verstößt der Weinbergbesitzer des Gleichnisses Jesu eklatant. Und damit erntet er nicht nur die Empörung der Arbeiter der ersten Stunde, sondern auch die jedes Hörers des Gleichnisses. Was so aufregt, ist nicht, dass der Winzer an diesem Tag die Spendierhosen anhat, sondern, dass dieselbe seltsame, plötzliche Geberlaune nicht auch den Ersten zugutekommt. Die gleiche Entlohnung für völlig ungleiche Leistung regt auf.

Und dann kommt das „Schlussplädoyer“ des Gutsherrn, in dem er sich erklärt und um seinen Standpunkt wirbt, aber das lässt uns unbefriedigt zurück. Das reicht irgendwie nicht, um unseren Ärger aufzulösen.

Nun, Jesus will mit diesem Gleichnis nicht unsere Arbeitswelt mit dem Grundsatz der gerechten Entlohnung reformieren, vielmehr will er auf ein anderes „Gesetz“ unseres Umgangs miteinander aufmerksam machen. Wenn jemand Güte erfährt, völlig unvermutet, aus heiterem Himmel, ich aber in dem Moment leer ausgehe – ist das ein Grund, griesgrämig zu werden? So wie Kain griesgrämig und neidisch gegen seinen bevorzugten Bruder Abel wurde? Ist das nicht vielmehr ein Grund, sich mitzufreuen? Ist das Gerechtigkeitsprinzip immer und überall das einzig Wahre? Wie steht’s mit dem Prinzip der Großherzigkeit, Großzügigkeit und Anteilnahme?

Der andere ist dein Bruder. Kannst du dich nicht über die Freude deiner Schwester freuen? Gott gießt sein Füllhorn über uns alle aus – aber muss er das „gerecht“ tun?

Mehr kluge Texte der Steyler lesen Sie in der deutschen und österreichischen Ausgabe unserer Zeitschrift.

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