Erstellt von Xenia Frenkel

Synagoge auf Rädern

Synagoge auf Rädern
Synagoge auf Rädern vor dem Brandenburger Tor

Dass ausgerechnet in Berlin ein „Mizwa Mobil“ unterwegs ist, dürfte kein Zufall sein. Bis ihn die nationalsozialistische Bedrohung erst nach Paris, dann in die USA zwang, lebte Menachem Mendel Schneerson von 1928 bis 1931 in Moabit am Hansa-Ufer. | Foto: Mendel Brandwine, Library of Agudas Chasidei Chabad

Seit März fährt eine mobile Synagoge durch Berlin. Als sie in Charlottenburg hielt, stieg unsere Autorin Xenia Frenkel ein zum Gespräch

„Mizwa Mobil“ steht in großen Lettern auf dem Bus. Darunter sind eine Weinflasche abgebildet und ein fluffiger Sesamzopf. Auf den ersten Blick könnte man das hier für einen Imbisswagen halten, wie er überall in Berlin herumsteht. Doch der Bus gehört zur jüdischen Gemeinde Chabad Lubawitsch Berlin. In seinem Inneren finden sich neben einer Sitzgelegenheit eine kleine Bibliothek mit Gebetbüchern und, verschlossen in einem Schrank, eine Tora-Rolle. Ein jüdisches Bet- und Lehrhaus auf Rädern.

Anfang März ging das „Mizwa Mobil“ an den Start, seither ist es an zwei Tagen in der Woche im Einsatz, betreut von Rabbiner David Teichtal. Der 26-Jährige ist sichtlich stolz. Sein Bus soll nicht nur jüdisches Leben sichtbar machen, er möchte auch Vorurteile abbauen und für Toleranz und Akzeptanz werben. Ob jüdisch oder nicht, ihm ist jeder herzlich willkommen. Um sich zu informieren, zu reden, zu beten. Nicht zuletzt versteht sich das Gefährt als Angebot für jüdische Menschen, die – wie die sogenannten Kontingentflüchtlinge aus den ehemaligen Sowjetrepubliken – keine oder nur wenig jüdische Bildung besitzen. Motto: „Kommst du nicht in die Synagoge, kommt die Synagoge eben zu dir.“

Eine alte Tradition neu belebt

Die steht nun an einem sonnigen Freitagmorgen vor einem koscheren Supermarkt in Charlottenburg. Zwei gut gelaunte Rabbiner, David Teichtal und sein Kollege Mendel aus New York, grüßen die Kundschaft. Begleitet werden sie vom 14-jährigen Moische. Im Augenblick ist der Junge daheim in Berlin bei seinen Eltern und Geschwistern. Denn seit ein paar Monaten besucht er in Israel eine Yeshiva – also eine jüdische Schule, in der er sich dem Tora- und Talmud-Studium widmet. Unterdessen schwirren vor dem Bus die Sprachen durcheinander, Deutsch, Hebräisch, Russisch, ­Ukrainisch, Englisch. Es wird viel gelacht. Zwischendurch steckt David Teichtal dem einen oder andere Kunden eine kleine Schachtel mit Schabbat-Kerzen zu. Oder eine schöne runde Matze, ein Stück ungesäuertes Brot, das ein bisschen wie Knäckebrot aussieht und schmeckt. Demnächst ist Pessach, dann wird es traditionsgemäß seit 4.000 Jahren von Juden in aller Welt gegessen.

Ganz neu ist die Idee einer mobilen Synagoge nicht. 1967, während des Sechs-Tage-Krieges, waren umgebaute Kastenwägen auf Initiative von Menachem Mendel Schneerson, dem Begründer der Chabad-Bewegung, überall in New York unterwegs. Die Mizwa-Kampagne des Lubawitscher Rebbe war ein Mittel, jüdische Identität zu vermitteln und sich offen zu ihr zu bekennen. Dieses Bekenntnis ist nach wie vor ein Problem, und kein geringes. Immer noch treffen jüdische Menschen auf Ablehnung und offene Feindseligkeit. Insbesondere, wenn sie wie David, Mendel und Moische gläubig und unschwer als das zu erkennen sind.

Ein modernes, junges Judentum

Ob das „Mizwa Mobil“ Menschen dazu bringt, Vorurteile zu hinterfragen? Sich mit antisemitischen, antijüdischen, antiisraelischen Denkmustern auseinanderzusetzen um gegebenenfalls den Mund aufzumachen? David Teichtal winkt ab. „Uns geht es nicht in erster Linie um Antisemitismus“, antwortet er. Worum dann? „Es ist schade, wenn das Judentum ausschließlich mit dem Holocaust verbunden wird. Wir wollen ein junges Judentum sichtbar machen, das die Gesetze, Rituale und Traditionen weiterträgt und lebt.“ Bis sein Bus allerdings einfach so kreuz und quer durch Deutschland touren kann, wird es wohl noch dauern. Wie bei allen jüdischen Insti­tutionen geht auch hier ohne Polizeischutz nichts. Der ist für Berlin gesichert; was andere Bundesländer angeht, sagt Teichtal, „werden wir sehen“.

So steht sein Bus bis auf Weiteres freitags in Charlottenburg und sonntags am Brandenburger Tor – in unmittelbarer Nähe des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Kein schlechter Platz, um Touristen und Sonntagsspaziergänger zu erreichen. Für manche wäre es womöglich eine erste Gelegenheit, jüdischen Menschen zu begegnen. Das wär’ doch schon mal was.

Mehr Informationen finden Sie in unserer Zeitschrift.

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Moische zeigt einem älteren Mann wie man Tefillin legt.

Das tägliche Anlegen der Tefillin ist für jüdische Männer Pflicht und gar nicht so einfach. Moische, 14, zeigt, wie es geht. | Foto: Mendel Brandwine, Library of Agudas Chasidei Chabad

Kleines Lexikon

Die Chabad-Bewegung ist eine mittlerweile weltweit aktive, chassidische Gruppe innerhalb des orthodoxen Judentums. Der 1902 im Gouvernement Cherson – das damals zum Russischen Kaiserreich gehörte – geborene Menachem Mendel Schneerson, genannt „der Rebbe“, war ab 1950 ihr Oberhaupt. Er starb 1994.

Chabad Lubawitsch: Chabad ist ein hebräisches Akronym, gebildet aus den Wörtern Chochma (Weisheit), Bina (Verstehen) und Da’at (Wissen). Lubawitsch wiederum ist russisch, heißt übersetzt Bruderliebe und ist der Name einer weißrussischen Stadt, in der die Bewegung ihren Sitz hatte.

Mit „Rebbe“ wird der Anführer einer chassidischen Gemeinschaft bezeichnet. Der Titel wird vom Vater auf den Sohn vererbt.

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