Was bannt den Hass?
So viel Hass! Woher kommt er? Wie kann man ihn in Schach halten? LJ-Autorin Xenia Frenkel macht sich Gedanken
„Groll ist wie Stacheldraht kauen.“ Das sagt der 1981 in Sarajevo geborene Schriftsteller Tijan Sila in einem Interview. Im Verlauf des Gesprächs präzisiert er, was er wirklich mit Groll meint: Hass. Kalt, bösartig, gefährlich. Und in letzter Konsequenz auf Vernichtung aus.
Wut und Zorn sind ihrem Impuls nach begrenzt. Man kann ihnen bisweilen sogar etwas Positives abgewinnen. Beim Hass ist das anders. Er ist rational. Hass äußert sich in persönlichen oder gesellschaftlichen Konflikten, am intensivsten in Verbrechen und Kriegen, und in verbalen Attacken. Durch eine Radikalisierung der Sprache erreicht er vor allem im Netz ganz neue Dimensionen. Da herrscht ein gnadenloses Grundrauschen, das zynischer nicht sein könnte.
Des Menschen Herz ist ein Abgrund
Hass ist so alt wie die Menschheit. Teile des 64. Psalms lesen sich wie eine exakte Beschreibung dessen, was sich heute on- und offline abspielt: „Sie schärfen ihre Zunge wie ein Schwert, / schießen giftige Worte wie Pfeile, um den Schuldlosen von ihrem Versteck aus zu treffen. / Sie schießen auf ihn, plötzlich und ohne Scheu. / Sie sind fest entschlossen zu bösem Tun. / Sie planen, Fallen zu stellen, / und sagen: ‚Wer sieht uns schon?‘“
Doch anders als in der Vergangenheit versteckt sich der Hass längst nicht mehr. Meinungsverschiedenheiten über Lastenräder oder Gendersternchen entgleisen, ein aggressiv-drängelnder Autofahrer, der einen scharf geschnitten hat, reicht, um sich in Gewaltfantasien zu ergehen.
„Achte auf deine Worte …“
Niemand wird mit Hass im Herzen geboren. Er schleicht sich unbemerkt ein, wird „gefüttert“. Durch eine leichtfertige Sprache etwa. „Ich hasse meinen Chef, meine Schwiegermutter, die Schule …“ ist schnell dahingesagt. Ebenso: „Den würde ich am liebsten umbringen“. Harmlos ist das nicht.
„Achte auf deine Worte, sie werden Taten“, drückt aus, was Sprache anrichten kann. Beispiele kennen wir genug, aus der eigenen Geschichte und aus der von anderen. So wurde das Gemetzel in Ruanda durch eine „harmlose“ Unterhaltungssendung im Radio initiiert und mit Hassparolen befeuert.
Wir müssen den Hass in uns niederringen
In einer der bekanntesten biblischen Erzählungen ringt Jakob mit einem Engel oder Gott, jedenfalls mit einem übermächtigen Gegner. Dazu gibt es unterschiedliche Lesarten. Eine lautet, dass Jakob in dieser Nacht seinem Schatten begegnet. Was ihn überfällt, ist ein Teil von ihm selbst, die Neigung zum Bösen auf der einen Seite und die zum Guten auf der anderen. Indem er seinen Namen sagt, nimmt er sich als Mensch mit Licht- und Schattenseiten an und geht mit neuem Namen aus dem Kampf hervor. Nicht unverletzt, aber gesegnet.
Vielleicht müssen wir uns ja, wenn es denn nicht anders geht, zum Guten zwingen. Eine andere Möglichkeit, dem Hass zu begegnen, kann Schweigen sein, sofern es von der Einsicht zeugt, dass man überfordert ist, weil man zu wenig über individuelle oder komplexe historische und gesellschaftspolitische Hintergründe eines Konflikts weiß. Da hilft es, innezuhalten, nachzudenken und die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen.
Ab und zu müssen wir den Mund aufmachen
Es kann in meinen Augen aber nicht angehen, den Hass dieser Tage stets nur schweigend hinzunehmen. Dazu muss man keine Heldentaten vollbringen. Eine überraschende, unerwartete, gewaltfreie Reaktion ist nachweislich viel wirksamer. Man nennt das eine „paradoxe Intervention“.
Eine Anekdote aus der Nachkriegszeit drückt recht gut aus, was damit gemeint ist. Ein unbelehrbarer brauner Geselle trifft auf einen neuen Nachbarn und grüßt nach alter Gewohnheit mit „Heil“. Der Nachbar sagt: „Entschuldigen Sie, mein Herr, ich bin kein Psychiater, ich bin Schneider.“
Übertragen auf Situationen, wie sie sich zuweilen vor unserer Haustür abspielen, könnte man also jemanden, der „schmeißt das Gesindel raus“ oder Ähnliches skandiert, beispielsweise freundlich fragen: „Sie sind offenbar nicht glücklich mit dieser Situation, oder? Sie sind auf dem richtigen Weg. Das mit dem Glücklichsein kriegt schließlich jeder hin, an seinem Unglück muss man dagegen hart arbeiten.“
Natürlich wird der Angesprochene nicht umgehend zur Besinnung kommen, aber zumindest kurz stutzen. Bleibt man gelassen, ergibt sich vielleicht sogar ein Gespräch. Nicht jeder, der mit unsäglichen Äußerungen aus der Rolle fällt, ist schließlich ein durch und durch schlechter Mensch. Ideengeber dieser in der Logotherapie von Viktor Frankl erprobten Methode war übrigens kein geringerer als Jesus.
Wer glaubt, ist gut gegen Hass gerüstet
Wir können ernst nehmen, was Jesus vorgelebt und was die Welt nachweislich verändert hat: die Botschaft, in jedem Einzelnen ein Abbild Gottes zu sehen. Wer glaubt, ist gut gerüstet, dem Hass entgegenzutreten. Geben wir ihm, wo auch immer er uns begegnet, keinen Raum. Halten wir das Fähnchen der Liebe, das Licht des Leben hoch. Auch wir sind viele!
Hasst Gott?
Mitunter wird man ja auf entsprechende Bibelstellen hingewiesen, aber abgesehen davon, dass Gott keine Affekte kennt, wie schon Augustinus wusste, ist das hebräische Wort sin’ah nicht gleichbeutend mit dem, was wir unter Hass verstehen. sin’ah meint so viel wie Zurückweisung des Bösen, Widerwillen gegenüber Rache, Ausgrenzung, Ungerechtigkeit.