Erstellt von Ulla Arens

Warum ausgerechnet die Wissenschaft den Glauben vertieft

Blick auf die Erde aus dem Weltall
Gott in den Sternen sehen? Nichts für Professor Dr. Andreas Burkert

Ein Blick aus dem All auf unseren Planeten Erde. Dorthin, wo es gerade Nacht ist und Lichter die Städte erleuchten| Foto: AdobeStock

Wissenschaft und Glauben sind für den Astro­physiker Andreas Burkert kein Gegensatz. Im Gegenteil. Ein Gespräch über Gott, das Weltall, die Entstehung des Lebens und seine Arbeit als Wissenschaftler

‚Leben jetzt‘: Was sehen Sie, wenn Sie in den Nachthimmel schauen?
Andreas Burkert:
Ich sehe die Sterne in unserer Galaxie, also der Milchstraße. Und dazwischen Gas- und Staubwolken, die wie dunkle Streifen aussehen und in denen neue Sterne entstehen. Ich ahne auch die vielen Sterne, die wir nicht sehen können, weil sie so weit weg sind, dass ihr Licht uns noch nicht erreicht hat. Dabei fühle ich mich zugehörig, als Teil des Ganzen. Ich schaue sozusagen nicht hinaus in den Himmel, sondern hinein in die Welt.

Lj: Sehen Sie da auch Gott?
Burkert: Nein, denn er ist in mir. Mein Glaube speist sich aus dem Gefühl des Vertrauens darauf, dass alles um mich herum seinen Sinn und seine Richtigkeit hat. Dass es gut ist, wie es ist, und ich mich durch und in Gott geborgen fühlen kann.

Lj: Hat denn Gott eine Bedeutung bei Ihrer Arbeit als Wissen­schaftler?
Burkert: Meinen Glauben kann ich nicht ablegen, auch nicht, wenn ich arbeite. Schließlich ist er ja Teil von mir und meiner Persönlichkeit. Er bestimmt, wie ich durch das Leben gehe, wie ich die Welt als Ganzes erkenne. Ehrlich gesagt habe ich nie ganz verstanden, warum man Glaube von Verstehen trennt.

Lj: Beides gehört Ihrer Meinung nach also zusammen?
Burkert: Natürlich. Wenn ich etwas ausrechnen und verstehen kann, dann verändert es meinen Glauben ja nicht. Er wird deshalb nicht we­ni­ger relevant, sondern existiert ganz unabhängig davon. Die Welt zu verstehen bedeutet doch nicht, dass Gott kleiner wird.

Lj: Stephen Hawking definierte Gott als „Namen für das, was Menschen nicht verstehen“.
Burkert: Wenn man wissenschaftlich etwas nicht erklären kann, redet man gern von Wundern und von Gott. Aber weil die Wissenschaft immer mehr versteht, würde Gott ja immer kleiner. Wie furchtbar. Gott als ein Lückenbüßer für das, was die Wissenschaft noch nicht erklärt hat – das kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem: Gott hat es nicht nötig, sich hinter Geheimnissen und Wundern zu verstecken. Ich denke genau andersherum. Für mich wird Gott größer, indem man die Schöpfung versteht. Dem berühmten Physiker Richard Feynman wurde von einem Künstler vorgeworfen, er könne als Wissenschaftler die Schönheit einer Rose nicht würdigen. Er antwortete sinngemäß, dass sogar noch eine tiefere Schönheit hinzukommt, wenn er eine Rose und ihren Aufbau untersucht. Das lässt sich für mich auch auf den Glauben übertragen.

Lj: Spielt denn Glaube auch in der Wissenschaft eine Rolle?
Burkert: Auf jeden Fall. Wir wissen ja nicht exakt, was seit Milliarden Jahren im Universum passiert. Also arbeiten wir mit Modellen, um uns einer Erkenntnis zu nähern. Aber es gibt eine sehr große Zahl von Möglichkeiten, wie man ein bestimmtes Phänomen erklären könnte. Bis ich die alle durchgerechnet und verstanden habe, wäre ich lange im Ruhestand. Also frage ich mich, was wohl am wahrscheinlichsten ist, und lasse mich von meinem Gefühl leiten, ganz intuitiv. Aus dem Glauben wird dann also in der Wissenschaft eine allgemeingültige Erkenntnis. Während in der Religion der Glaube zu einer persönlichen, intuitiven Erkenntnis wird.

Lj: Sie sind Pfarrers­sohn …
Burkert: Die Beschäftigung mit dem Glauben wurde mir sicherlich in die Wiege gelegt. Ich war als Kind natürlich mit in der Kirche, habe auch die Orgel gespielt. Aber ob man später den Glauben beibehält, ist eine Frage der persönlichen Reifung. Bei mir entstand der Glaube neu durch die Beschäftigung mit dem Universum und dem Wissen, dass wir Teil der kosmischen Geschichte sind, die mit dem Urknall begann und noch nicht abgeschlossen ist. Und je mehr ich forschte, umso mehr staunte ich über die Komplexität dieser Schöpfung.

Lj: An der Stelle müssen Sie für uns den Urknall erklären, möglichst einfach, bitte.
Burkert: Ich werde es versuchen. Also: Vor 13,8 Milliarden Jahren begann die Existenz des Universums und zwar als ein Punkt, gefüllt mit reiner Energie. Vorher gab es nichts. Warum der Punkt plötzlich da war, entzieht sich unserem Wissen. Der Urknall selber war übrigens kein Knall, keine Explosion, denn dafür hätte es einen Raum gebraucht, der nicht existierte. Stattdessen erzeugte der Punkt Raum, er quoll sozusagen von innen heraus auf, so wie ein Samenkorn, das aufgeht. Das kann man veranschaulichen mit einem Luftballon, der aufgeblasen wird. Malt man darauf Punkte, die Sterne oder Galaxien darstellen sollen, wird der Abstand zwischen ihnen immer größer. Nicht weil sie auf der Ballonoberfläche wandern, sondern weil ihre Welt, das heißt die Ballonober­fläche, wächst. Und das findet immer noch statt, der Raum wächst immer weiter. Mit dem Universum entstand aber nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit. Auch die gab es wohl vor dem Urknall noch nicht.

Lj: Wenn Sie als Wissenschaftler Fragen an Gott hätten, was würden Sie gerne von ihm wissen wollen?
Burkert: Ich würde ihn fragen, wohin die Reise geht. Ob alles nur ein Entstehen und Vergehen von Sternen, Planeten, Materie und Leben ist. Oder ob das Ganze einem Ziel oder einem Höhepunkt entgegenstrebt.

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Zur Person

Professor Dr. Andreas Burkert ist Ordinarius und Leiter des Lehrstuhls für theoretische und numerische Astro­physik an der LMU München. Er forscht unter anderem zu den Themen Dunkle Materie, Sternen­entstehung und Leben als emergenter Prozess im Universum. Die Internationale Astronomische Union hat einen Kleinplaneten nach ihm benannt. „Urknall und Sternenstaub“ heißen die Konzerte, bei denen er den Pfarrer und Liedermacher Clemens Bittlinger mit seinem Wissen begleitet. Mehr dazu unter andreasburkert.com/veranstaltungen und unter andreasburkert.com

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