Paralympics-Siegerin Anna-Lena Forster: Auf einem Ski ins Tal
Anna-Lena Forster, 29, ist seit 2018 Paralympicssiegerin auf dem Monoski. Sie hat ihr Schicksal, mit nur einem verkürzten Bein geboren zu sein, angenommen und sehr viel in ihrer Sportkarriere erreicht: vierfache Goldmedaillengewinnerin und neunfache Weltmeisterin – bis zu den Paralympics 2026 in Cortina d’Ampezzo will die 29-Jährige noch weitermachen
'Leben jetzt': Frau Forster, es gibt viele beeindruckende Videos von Ihnen im Netz. Aber eines sticht irgendwie heraus: Da sind Sie ein Kind, daheim in Radolfzell, mit lauter anderen Kindern Ihres Alters auf der Straße. Die fahren auf zwei Inlineskates herum– und Sie bewegen sich auf einem Bein, einem Inliner und zwei Krücken so schnell und selbstverständlich zwischen ihnen, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Anna-Lena Forster: War es für mich ja auch.
Lj: Das ist spannend. Schließlich ist der Unterschied zwischen Ihnen und den anderen für Außenstehende sehr offensichtlich.
Forster: Klar. Ich habe eine Femurhypoplasie links, das heißt, das linke Bein ist stark verkürzt, es fehlen auch Knochen. Und rechts liegt eine Amelie vor – das Bein fehlt komplett. Was auch bedeutet: Ich bin ziemlich klein.
Lj: Sie sind so auf die Welt gekommen. Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie körperlich behindert sind?
Forster: Das hat tatsächlich lange gedauert. Ich habe schon gemerkt, dass ich eine Prothese hatte, dass ich länger für bestimmte Dinge brauchte und auf Hilfe angewiesen war, wo andere es allein geschafft haben. Aber das war für mich immer normal, ich kannte es ja nicht anders. Und ich hatte meine Bubble – meine Eltern, meine Familie, meine Freunde haben mich so genommen, wie ich war. Es war dann, wie es heute noch ist: An meine Behinderung wurde ich erinnert, wenn ich in neue Gruppen kam. Wenn fremde Kinder neugierig schauten und riefen: Guck mal, die hat nur ein Bein! Dann später die Uni. Aber auch heute merke ich, dass viele Leute wenig Berührung mit Menschen mit Behinderung haben.
Lj: Gab es nie Wut? Verzweiflung? Ein Verfluchen dieses Schicksals?
Forster: Klar. Vor allem als Jugendliche habe ich mich immer wieder gefragt: Warum ich? Ich kann nicht sagen, dass ich mein Leben mit irgendwem hätte tauschen wollen. Aber als Teenager sind mir so viele Sachen ins Bewusstsein gekommen, die ich einfach nicht machen kann.
Lj: So eine Verzweiflung kann sich leicht manifestieren. Wie sind Sie da wieder rausgekommen?
Forster: Sie hat sich verwachsen. Aushalten und akzeptieren hilft auch. Und ich habe es durch Sachen kompensiert, die ich besonders gut konnte.
Lj: Was uns nun endlich zum Sport bringt.
Forster: Genau. Über den habe ich mich sehr stark definiert. Da konnte ich früh Dinge, die andere nicht konnten. Handstand mit zwei Jahren zum Beispiel, und den habe ich dann auch bei jeder Gelegenheit vorgeführt.
Lj: Ihre Eltern sind dafür verantwortlich, dass Sie Skifahrerin geworden sind.
Forster: Die beiden sind leidenschaftliche Skifahrer und haben sich ernsthaft Sorgen gemacht, dass es mit den schönen Skiurlauben vorbei ist mit einer behinderten Tochter. Aber dann haben sie einen Vortrag von Gerda Pamler gehört, die mit dem Monoski Paralympicssiegerin geworden ist. Und haben mich für einen Kurs bei ihr angemeldet, sobald ich in die Sitzschale gepasst habe.
Lj: Da waren Sie sechs, das ist 23 Jahre her. Der Rest ist Geschichte: Sie haben mit dem Monoski vier Goldmedaillen bei den Paralympics gewonnen und sind neunfache Weltmeisterin.
Forster: Ja, aber vor allem hat mir der Skisport die Möglichkeit gegeben, mich auf gewisse Art zu finden, mich auszudrücken. Zu zeigen: Schaut mal, das bin ich, das kann ich.
Lj: Sie haben alles gewonnen, mehrfach. Sind seit 20 Jahren im Leistungssport unterwegs. Trainieren immer noch sechsmal die Woche, zweimal am Tag – und das Training ist hart an der Grenze zur Quälerei. Wofür? Für den zehnten WM-Titel, die fünfte paralympische Goldmedaille?
Forster: Was mich dabei hält, ist die Leidenschaft für den Sport. Und in gewisser Weise die Suche nach Perfektion. Denn selbst wenn ich gewinne: Perfekt bin ich nicht. Es gibt immer noch Luft nach oben, immer noch Verbesserungspotenzial. Noch mehr aus mir herauszuholen – das ist mein Antrieb.
Lj: Moment: Angenommen, Sie legen bei den Paralympics 2026 in Cortina d’Ampezzo einen gefühlt perfekten Lauf hin, werden aber nur Dritte – das würde Sie glücklicher machen als unperfektes Gold?
Forster: Ja. Da haben sich meine Prioritäten verschoben. 2018 war es mein Traum, Gold bei den Paralympics zu holen, das habe ich doppelt geschafft. 2022 wollte ich es bestätigen, auch das hat geklappt. Jetzt mache ich es für mich, für den Spaß, für mein Gefühl zum Sport. Aber hey – ich bin Leistungssportlerin und immer noch ehrgeizig. Sollte ich noch eine Medaille gewinnen, wäre mir das natürlich nicht egal.
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Anna-Lena Forster ist Angestellte beim Zoll. Wieso eigentlich?
Man hört es, gerade bei Olympia oder den Paralympics, immer wieder: Deutsche Spitzensportler sind oft bei der Bundeswehr und anderen staatlichen Institutionen ange- stellt. Das Zoll-Ski-Team zum Beispiel, dem auch Anna-Lena Forster angehört, hat 74 Mitglieder. Die bekommen dort die optimale Förderung – explizit, um das Land im Spitzensport angemessen zu repräsentieren, wie es 1968 im Ursprungsbeschluss des Parlamentes hieß. Das Innenministerium fördert den Behindertensport zusätzlich mit etwa 14 Millionen Euro im Jahr.