Erstellt von Melanie Fox

Alexander Graf Lambsdorff: „In meinem Gegenüber versuche ich das Ebenbild Gottes zu sehen“

Der Wert der Freiheit liegt dem Politiker besonders am Herzen. | Foto: pro imago life

Werte sind die Grundlage unserer Verfassung und damit auch unserer Demokratie. Sie in der Politik umzusetzen, ist nicht ganz einfach. Aber mit Respekt voreinander möglich, sagt der Politiker, Diplomat und Historiker

Leben jetzt: Der Begriff „Wert“ wird im Grundgesetz so nicht verwendet, dennoch bilden Werte die Grundlage für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Was sind für Sie die essenziellen Werte einer Demokratie?
Alexander Graf Lambsdorff: Das ist eine sehr spannende Frage, über die wir uns viel zu selten Gedanken machen. Für mich sind Werte in der Demokratie zum einen persönliche Tugenden wie Anstand, Mäßigung, Respekt und die Fähigkeit, mit Niederlagen umzugehen. Zum anderen sind es Werte, die für das Gemeinwesen entscheidend sind – wie Rechtstaatlichkeit, freie und faire Wahlen und ein demokratischer Umgang, der die Grundrechte von Minderheiten nicht der Mehrheit ausliefert. Der Wert, der beides auf der individuellen wie auf der politischen Ebene verbindet, ist der Wert der Freiheit.

Lj: Unsere Wertvorstellungen haben ihren Ursprung im Christentum. Inwiefern dürfen religiöse Überzeugungen politischen Einfluss nehmen?
Graf Lambsdorff: Der Staat Deutschland ist weltanschaulich neutral, aber er ist nicht wertfrei. Die Werteordnung, wie wir sie kennen, ist in der Tat geprägt durch die Zehn Gebote und die Lehren Jesu. In der politischen Diskussion ist es völlig in Ordnung, wenn Menschen aus religiösen Motiven heraus bestimmte politische Vorstellungen artikulieren und diese zur Wahl stellen. Quasi eine religiös informierte Demokratie. Was aber nicht passieren darf, ist ein Übergang zur Theokratie, also, dass staatliche Institutionen religiöse Regeln für alle verbindlich machen.

Lj: Welche christlichen Werte sind in Ihrem Leben präsent?
Graf Lambsdorff: Ich versuche in meinem Gegenüber immer den Menschen zu sehen, der das Ebenbild Gottes ist. Der politische Konkurrent ist für mich jemand, den ich respektiere, achte und dem ich zuhöre. Ich will zwar mein Gegenüber mit meinen Argumenten überzeugen, spreche ihm aber nicht ab, dass er ebenfalls ehrlich versucht, das Beste für die Gesellschaft zu erreichen.

Lj: Wer ist für die Erhaltung von Werten verantwortlich, der demokratische Staat oder die Gesellschaft?
Graf Lambsdorff: Wir alle. Jeder einzelne Mensch trägt Verantwortung dafür, dass Grundwerte geachtet, geschützt und gelebt werden. Niemand schafft das durchgehend. Gerade als Christen wissen wir um unsere eigene Unvollkommenheit. Vereine, Kirchen, politische Parteien, gesellschaftliche Gruppen, auch Kultur und Medien, sie alle sind für die Aufrechterhaltung, Weiterentwicklung und Neuinterpretation von Werten verantwortlich.

Lj: Sehen Sie derzeit Gefahren für die Demokratie in Deutschland?
Graf Lambsdorff: Ja, diese Gefahr heißt AfD. Eine Partei, in der Menschen hinter einer bürgerlichen Fassade agieren, die Demokratie aber faktisch abschaffen möchten.

Lj: Und wie sieht es mit der Demokratie in Europa aus?
Graf Lambsdorff: Die Demokratie in Europa ist, wenn man es global vergleicht, ganz gut in Form. Wenn wir uns die großen Länder wie Frankreich, Deutschland oder Italien anschauen, stehen wir nicht schlecht da. Wir haben jedoch auch Länder in der EU, wo man sich verstärkt Sorgen machen muss, da denke ich an Ungarn oder Polen. Der Kampf für die Demokratie ist auch in Europa ein Gebot der Stunde.

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Engagiert sich für Menschenrechte

Alexander Graf Lambsdorff, 54, ist Mitglied des Deutschen Bun- destages für die FDP, zuständig für Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik sowie im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Der ausgebilde- te Attaché hat zehn Jahre als Diplomat die deutschen Interessen im Ausland vertreten, einen Master in Europäischer Geschichte und in Handels- und Finanzfragen. Von 2004 bis 2017 war er Abgeordneter im Europaparlament. Als Kind hat der Protestant das Jesuitenkolleg in Bonn besucht, wo er auch heute noch lebt. Er hat zwei erwachsene Kinder.

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