Leben jetzt: Gab es eine konkrete Situation, in der Sie gesagt haben: Es reicht?
Es war eher ein langer innerer Prozess. Aber es gab tatsächlich einen Augenblick, der nicht unbedeutend war: als ich vor Firmlingen gepredigt habe und ihnen sagte: Bringt euch ein, ihr könnt an Veränderungen mitarbeiten! Da ist mir bewusst geworden, dass ich selbst nicht mehr daran glaube.
Lj: Sie waren zuletzt Generalvikar im Bistum Speyer, also der zweite Mann nach dem Bischof. Hätten Sie dadurch nicht mehr für die katholische Kirche erreichen können als jetzt, wo Sie ausgetreten sind?
Ich hatte den Eindruck, dass ich nichts verändern kann. Kleinigkeiten schon, aber nichts Großes. Immer öfter habe ich mich gefragt: Für wen kämpfe ich eigentlich? Ich hatte das Gefühl, immer wieder vor Wände zu laufen. Etwa bei der Durchsetzung längst überfälliger Reformen. Also etwa bei der Akzeptanz, dass Homosexuelle im kirchlichen Dienst heiraten dürfen, ohne ihre Anstellung zu verlieren. Und irgendwann dachte ich: Vielleicht ist es besser, ich suche mir einen anderen Weg.
Lj: Im Zusammenhang mit der katholischen Kirche diskutiert die deutsche Öffentlichkeit gerade zweierlei: zum einen das Zölibat, zum anderen die Missbrauchsskandale. Lassen Sie uns zunächst über Ersteres sprechen. Das Zölibat.
Ich habe bei diesem Thema mit mir gerungen. Es gab Zeiten, in denen es eher unproblematisch für mich war, zölibatär zu leben. Und es gab Zeiten der Verzweiflung, in denen es mir sehr schwer gefallen ist. Mit der Konsequenz, dass ich es nicht gelebt habe.
Lj: Die römisch-katholische Kirche hält am Zölibat fest. Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, so stellt sich eine leichtere Verfügbarkeit der Priester dar. Beispielsweise muss man bei einer Versetzung keine Rücksicht auf eine Familie nehmen. Viele Probleme kommen so erst gar nicht auf: Wie geht man mit Scheidung um? Wie mit homosexuellen Priestern? Was ist mit der Karriere der Frau und wer von beiden entscheidet über den Wohnort?
Lj: Das zweite Thema, das viele Kirchenmitglieder gerade umtreibt, ist der Kindsmissbrauch und wie die Kirche ihn aufarbeitet. Das wühlt auch Sie sehr auf.
Ja. Es tut weh festzustellen, dass dies geschehen ist – und wie die Kirche damit umgeht, ist für mich unverständlich. Wenn Vertrauen so massiv gestört ist, muss viel konsequenter agiert werden. Kirche hat viel zu wenig Kontrollinstanzen von außen. Wir haben viel zu viele Positionen in der Kirche, die viel zu machtvoll agieren konnten, ohne dass es eine richtige Kontrolle gab.
Lj: Was wünschen Sie der römisch-katholischen Kirche und den Menschen, die auf der Suche sind?
Weniger Angst, um gemeinsam für einen guten Weg für die Kirche zu ringen. Das wünsche ich übrigens auch dem Papst bei der Weltsynode. Ich wünsche mir, dass jeder, der auf der Suche ist, eine religiöse Heimat findet und mit und in seinem Glauben glücklich wird.
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