Und dann wird das Zeichen des Menschensohns am Himmel sichtbar sein“, heißt es beim Evangelisten Matthäus. Das Zeichen liegt im Band der Milchstraße. Es ist das kleinste der Sternbilder und nur auf der südlichen Erdhalbkugel zu sehen. Den europäischen Seefahrern des 16. Jahrhunderts diente es zur Orientierung, seine vertikale Achse weist verlässlich gen Süden. Den Christen unter ihnen wird der Anblick der vier leuchtenden Himmelskörper, die man „Kreuz des Südens“ nennt, gewiss auch innerlich Halt gegeben haben. Ein Vergnügen war die Seefahrt damals ja nicht.
Ist es ein Zufall, dass ein paar Sterne das zentrale Zeichen des Christentums nachbilden? Wer weiß das schon. Für das kosmologische Verständnis ist die Kreuzform indes entscheidend: Sie weist gleichzeitig in alle vier Himmelsrichtungen, sie umspannt die ganze Welt. Das Kreuz verbindet Himmel und Erde, Geist und Materie, Seele und Körper. Am Kreuzpunkt heißt es: Hier musst du dich entscheiden. So etwas kann man sich nicht mal eben ausdenken. Es ist genial.
Von der Niederlage zum Siegeszug des Kreuzes
Dennoch: Dass ausgerechnet ein Kreuz einmal zum zentralen Glaubenssymbol werden würde, hätte die frühen Christen, gelinde gesagt, in Erstaunen versetzt. Stand das Kreuz doch damals für abgrundtiefe Schande und schwerste Bestrafung. „Verflucht ist, wer am Holz hängt“, sagt die Bibel. Die Römer nutzen das Kreuz sehr bewusst als Folter- und Hinrichtungsinstrument für Sklaven, Verbrecher und Rebellen.
Sein Siegeszug beginnt erst im 4. Jahrhundert mit Kaiser Konstantin, genauer, mit der Kreuzauffindung durch seine Mutter Helena. Um dieses Ereignis ranken sich nun unterschiedliche Legenden. Manche, wie etwa der bald einsetzende, recht lebhafte Reliquienhandel, künden weniger von Frömmigkeit und Gottesfurcht als vielmehr von dem ausgeprägten politischen und kommerziellen Gespür der Machthaber. Was auch immer sich damals zugetragen hat, eines steht fest: Im Lauf der Jahrhunderte entfaltete das Kreuz eine unglaubliche Strahlkraft, weit über die Grenzen der alten Welt hinaus. Von seiner bewegten Geschichte legt nicht zuletzt die Kunst Zeugnis ab.
Kreuzbube sticht alle
Was dem einen als Zeichen göttlicher Liebe, Weisheit und Vorsehung gilt, ist dem anderen ein Ärgernis. Nur kalt lässt das Kreuz niemand. Entgegen anderslautenden Stimmen kann man es auch nicht mal eben wegdiskutieren. Nach wie vor krönt es Häupter, Kirchturmspitzen und Schlosskuppeln, steht auf Friedhöfen, Berggipfeln und an Bahnübergängen, ziert Flaggen und Wappen, Hals und Ohren, und findet sich in Schulen und Spitälern, was immer mal wieder für Aufregung sorgt.
Das Kreuz begegnet uns als Wegzeichen und „Marterl“, selbstverständlich in der Kirche, aber auch beim Skat. Der Kreuzbube sticht alle! Aus der Sprache ist es nicht wegzudenken, sogar auf Spinnen zeigt sich bisweilen das Kreuz und im Fell des provenzalischen Esels. Diese besonders reizende Rasse erhielt das Kreuzzeichen natürlich am Palmsonntag, als Jesus auf einem Esel in Jerusalem einritt. So erzählt es jedenfalls die Legende.
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