Die Stimme gegen die Ausbeutung: Pfarrer Peter Kossen
Pfarrer Peter Kossen engagiert sich gegen die Ausbeutung von Arbeitsmigranten in der Fleischindustrie. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund. Lj-Redakteurin Ulla Arens imponiert das sehr.
Er spricht ruhig und unaufgeregt, doch die Worte, die Pfarrer Kossen wählt, sind scharf, ja, drastisch. Und sie sind überall zu hören – von der Kanzel, in Radio- und Zeitungsinterviews, in Talkshows und auf Demonstrationen. Dort redet er von moderner Sklaverei, mafiösen Strukturen und Menschenhandel. Gemeint sind die Zustände in der deutschen Fleischindustrie, deren Opfer die Arbeitsmigrantinnen und -migranten sind. Für diese Menschen, die aus Ost- und Südosteuropa stammen, fordert der katholische Priester beharrlich faire und würdige Arbeitsbedingungen. Dabei scheut er sich nicht, zu provozieren, anzuecken: „Die Kirche muss auch Stimme sein für die, die keine haben.“
Arbeiten bis zur völligen Erschöpfung
Sein Kampf gegen die Fleischindustrie begann vor zehn Jahren, als er in seine alte Heimat, das Oldenburger Münsterland, zurückkehrte. Schon seit Langem sind in der Region viele Fleisch verarbeitende Betriebe angesiedelt. Erstaunt stellte er fest, dass der größte Teil der Belegschaft durch Leiharbeiter aus Rumänien und Bulgarien ersetzt wurde, die von Subunternehmern angestellt wurden.
Durch seinen Bruder, einen Landarzt, der viele dieser Menschen zu seinen Patienten zählt, wurde der heute 53-Jährige zum ersten Mal mit den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen konfrontiert. „Er berichtete mir von Frauen, die bei einer Schwangerschaft ihren Job los sind und dann mittellos auf der Straße stehen. Von Menschen, die sechs Tage die Woche zwölf Stunden arbeiten, sich trotz völliger Erschöpfung nicht krankschreiben lassen, um ihre Arbeit nicht zu verlieren. Und von Männern mit Verätzungen am ganzen Körper, weil sie keine oder defekte Schutzkleidung bekommen.“ Pfarrer Kossen beschloss, für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu kämpfen.
Längst kennt er die Situation in der Fleischindustrie wie kaum ein anderer. Nüchtern beschreibt er die Hintergründe: dass junge Menschen, die in ihrer Heimat keine Chance haben, mit falschen Lohnversprechungen von kriminellen Subunternehmern nach Deutschland gelockt werden und bereits am Tag der Ankunft ohne Einweisung am Band stehen. Ein Leben in totaler Abhängigkeit folgt: Die Subunternehmer ziehen oft die Pässe ein, zahlen nur einen Teil des Lohns. Und sie bringen die Arbeitsmigranten in heruntergekommenen, teils verschimmelten Massenbehausungen unter, in denen es keinerlei Privatsphäregibt. Für eine Matratze werden mindestens 250 Euro verlangt. Kossen: „Sie werden als Wegwerfmenschen verschlissen.“
Der Einsatz für Arbeitsmigranten geht weiter
Durch die Corona-Ausbrüche in den Betrieben sind die grausamen Realitäten endlich einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Es war Pfarrer Kossen, der in den Medien häufig dazu Stellung nahm. Und nicht zuletzt ist es auch ihm zu verdanken, dass Anfang vergangenen Jahres ein neues Gesetz in Kraft trat, das die Unternehmer zwang, die Arbeiter einzustellen, statt Werksverträge mit Subunternehmern abzuschließen. Er sei sehr froh, dass es jetzt dieses Gesetz gebe, betont Kossen. Doch es reiche nicht aus. „Die Arbeitsbedingungen sind nicht besser geworden, die Haltung gegenüber den Arbeitsmigranten hat sich nicht verändert. Sie werden weiterhin ausgebeutet. Subunternehmer rekrutieren immer noch Arbeiter, der Menschenhandel funktioniert weiterhin.“ Die Wohnsituation sei ebenfalls weiter katastrophal, auch weil Sozialwohnungen fehlen. Kürzlich sei in Lengerich ein 52-jähriger Pole tot auf der Straße zusammengebrochen. Todesursache: totale Erschöpfung. Pfarrer Kossen hat ein Totenlicht für ihn aufgestellt.
Und er kämpft weiter, auch für die Arbeitsmigranten in anderen Branchen – etwa bei der Paketzustellung, der Gebäudereinigung oder auf dem Bau. Für sie gilt das neue Gesetz nicht. „Sie alle müssen in unsere Gesellschaft integriert werden, damit keine Gettos und Parallelgesellschaften entstehen“, sagt er. Vor zwei Jahren gründete Kossen den Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“, der Arbeitsmigranten juristisch berät und unterstützt (wuerde-gerechtigkeit.de).
Mehr zum Einsatz von Pfarrer Kossen erfahren Sie in der deutschen und österreichischen Ausgabe unserer Zeitschrift.
...und was kann ich tun?
Pfarrer Peter Kossen hat uns erzählt, was den Arbeitsmigranten hilft:
- Nehmen Sie die Menschen wahr, sie gehören als Mitbürger und Mitbürgerinnen zu uns.
- Wenn jemand von ihnen für Sie arbeitet: Geben Sie ihnen einen Namen, statt von „meiner Polin“ zu sprechen, die bei Ihnen putzt oder pflegt.
- Sprechen Sie betroffene Menschen an, wenn Sie sie sehen. Laden Sie sie ein, zum Beispiel zu einem Treffen der katholischen Frauengemeinschaft.
- Drücken Sie Ihre Wertschätzung auch darin aus, Putzhilfen fair und angemessen zu bezahlen oder zum Beispiel dem Paketzusteller ein gutes Trinkgeld zu geben.