Erstellt von Norbert Cuypers SVD

Einsiedler Norbert Cuypers über Brüche im Leben

Eine mit Goldlack reparierte Schale
Der Bruch wird Teil der Geschichte - und ist das nicht schön?

Die Brüche dieser Vase werden nicht versteckt - sondern mit Goldlack gefiert | Foto: iStock

Der Steyler Pater Norbert Cuypers lebt als Eremit in einer Einsiedelei am Rande eines Waldes im Südsauerland und betreuet einen kleinen Wallfahrtsort. Hier berichtet er von schwierigen Gesprächen und versöhnlichen Gedanken

Es gehört zu meinem Tagesrhythmus als Einsiedler, dass ich mir an jedem Vormittag eine Stunde Zeit nehme, um spirituelle Literatur zu lesen. In ihr finde ich oft inspirierende Impulse für mein geistliches Leben. Sie ist „Futter“ für meinen Glauben. Manchmal komme ich beim Lesen dann nicht sehr weit und bleibe bei einzelnen Sätzen hängen, die mich berühren. Solch einen Satz habe ich bei Frère Roger Schutz, dem Gründer der ökumenischen Brüdergemeinschaft in Taizé, gefunden:

„Es ist wichtig zu wissen, dass unser Leben durch die Wunden geheiligt wird, die wir unschuldig in der Kindheit erlitten haben.“

Als ich diesen Satz gelesen hatte, überdachte ich Momente meiner Kindheit. Ja, auch mir wurden in jener Zeit Wunden geschlagen. Nicht so sehr körperliche, eher seelische. Manchmal kann ich den ein oder anderen „wunden Punkt“ bis heute spüren. Das ist alles andere als angenehm. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jeder Mensch so etwas in seinem Leben kennt. Jedenfalls erzählen mir viele Menschen, die bei mir an der Tür der Klause um ein Gespräch bitten, von ihren Wunden, unter denen sie leiden. Der eine hat auch nach Jahren den tödlichen Verkehrsunfall seines Kindes nicht verkraftet. Einen anderen schmerzt es, dass die Kinder nicht mehr in die Kirche gehen. „Was haben wir als Eltern da nur falsch gemacht?“ steht dann oft als Frage im Raum. Und wieder andere fragen sich, ob Gott selbst etwas falsch gemacht hat, als er sie als queere Person ins Leben gerufen hat: „Und wenn er es nicht getan hat, Pater Norbert, warum nimmt mich meine Familie dann nicht so an, wie ich bin?“ werde ich dann gefragt.  Ich bin dankbar erstaunt darüber, dass die Menschen so offen und ehrlich zu mir sind. Gleichzeitig berühren mich viele dieser Gespräche zutiefst und gehen mir lange nach. 

In seinem Buch schreibt Frère Roger davon, dass die schmerzhaften Verletzungen unserer Seele unser Leben heiligen können. Wie kann ich das verstehen? Mir fiel dazu etwas ein, was ich von Künstlern in Japan gelesen habe. Kostbares Porzellan, das zu Bruch gegangen ist, wird von ihnen nicht einfach im Mülleimer entsorgt. Mit einer Mischung aus Lack und Goldstaub werden die Bruchstücke vielmehr wieder zusammengefügt. Der augenscheinliche Makel des Materials wird dabei also nicht versteckt, ganz im Gegenteil: er wird vielmehr ein sichtbarer Teil der Geschichte des Objekts, der zu seiner Schönheit beiträgt.

Die Vorstellung, dass Gott in meinem Leben genauso handelt, wie diese japanischen Künstler, gefällt mir irgendwie: Wenn ich ihm meine menschliche Zerbrechlichkeit, meine Brüche in der Biografie, meine Wunden, die das Leben mir geschlagen hat, vertrauensvoll hinhalte, dann wird er mit dem Lack seiner Barmherzigkeit und dem Goldstaub seiner unendlichen Liebe alles wieder kunstvoll zusammenfügen.

Der aus Frankreich stammende Philosoph Blaise Pascal, drückte es einst so aus:

„Es ist nicht auszudenken, was Gott aus den Bruchstücken unseres Lebens machen kann, wenn wir sie ihm ganz überlassen.“ 

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