Der Ort sieht wahrlich nicht heimelig aus: ein Gehweg, hohe Wände, Gitterstäbe. „Das war ich damals, da haben wir uns aufgehalten“, sagt Dieter und zeigt ein Foto von einst. Regelmäßig ist er hier, mitten in Berlin, mit Schülern, Forschungsgruppen oder Betriebsausflügen, die er führt. Er war drei Monate obdachlos, doch diese Zeit liegt zum Glück hinter ihm. Als Stadtführer referiert Dieter aber nicht über Siegessäule und Bundestag. Er zeigt „sein“ Berlin, aus der Zeit als Obdachloser.
Das tun er und viele andere ehemalige Obdachlose und Menschen mit Migrationshintergrund beim gemeinnützigen Verein „querstadtein“. Dessen Ziel ist es, Menschen zusammenzubringen und Sensibilität für die Perspektiven anderer zu schaffen. „Wir möchten Diskriminierung entgegenwirken und aufzeigen, dass Obdachlosigkeit und Flucht das Resultat struktureller Ungleichheit sind“, so Geschäftsführerin Jennifer Fielding. Schätzungsweise 45.000 Menschen sind in Deutschland obdachlos, doch vermutlich seien es mehr, so der Verein. Häufig wird über diese Menschen gesprochen, bei „querstadtein“ sollen sie selbst zu Wort kommen. Und das tun sie mit den Stadtführungen: 3.500 hat es seit der Gründung 2013 gegeben, manche Teilnehmer kommen gar mehrfach. Seit der Pandemie gibt es auch eine interaktive, digitale Tour, die ortsunabhängig funktioniert. Haben die Teilnehmer danach mehr Verständnis für ihre Mitmenschen, hat der Verein viel bewirkt: „Wenn wenigstens die Hälfte der Menschen sich zum Obdachlosen drehen und ihm ein Lächeln schenken würden, dann würde es ihm schon ein bisschen besser gehen“, sagt Dieter.
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