Erstellt von Burkhard M. Zimmermann

Warum gruseln wir uns eigentlich so gerne?

Drei animierte Kinder im Kinder
Zu wissen, dass der gruselige Film gleich vorbei ist, macht ihn viel erträglicher

Für den Horrorfilm ins Kino - nicht wenige setzen sich dem Grusel gerne aus | Foto: AdobeStock

Horrorfilme, spannende Serien und True-Crime-Podcasts fesseln uns – obwohl sie uns oft an unsere Grenzen bringen. Doch warum genießen wir diese nervenaufreibenden Erlebnisse? Die Wissenschaft nennt dieses Phänomen Angstlust und erklärt, warum uns kontrollierte Angst so viel Freude bereitet

Viele Menschen suchen bewusst den Nervenkitzel – sei es durch True-Crime-Podcasts, Horrorfilme oder Geisterbahnen. Doch warum fasziniert uns der Grusel so sehr? Läuft bei uns etwas falsch, wenn wir uns freiwillig unheimlichen Erlebnissen aussetzen?

Nein, sagt die Wissenschaft. Sie hat verschiedene Theorien zur Lust des Menschen an der Angst, und eine besagt, dass wir uns bei der Betrachtung von Mord und Niedertracht in einem gesicherten Rahmen vor unseren realen Ängsten schützen können – wir sterben gefühlt ein bisschen mit, leben aber danach weiter, anders als einige Helden im Film. Eine andere Annahme unterstellt, dass die Angstlust dem Menschen in vorgeschichtlicher Zeit geholfen hat, bedrohliche Situationen auszuhalten, und an denen war vermutlich zwischen Raubtieren, Naturkatastrophen und verfeindeten Stämmen kein Mangel. Für diese These spricht, dass das Hormonsystem ohne unser willentliches Hinzutun blitzschnell dafür sorgt, dass heute mit dem Grauen im Kinosaal eine echte Begeisterung einhergeht: Die emotionale Überreizung führt zur Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, der Körper geht in Alarmbereitschaft, die Blutgefäße spannen sich an, Herzfrequenz und Blutdruck steigen. Gleichzeitig entstehen Endorphine, echte Glückshormone, die das Schmerzempfinden he­rabsetzen und das Selbstvertrauen stärken, und sie rauschen sogar noch eine Weile durchs Blut, wenn die Situation vorüber ist. Zurück bleibt ein wohliges Gefühl.

Warum ist True Crime bei Frauen so beliebt?

All das ist natürlich wohlfeil, wenn ich in einem schönen Kino sitze, Gemüsechips aus dem Kino-­Café wegknuspere und weiß, dass der Spuk in zwei Stunden vorbei ist. Echt interessant wird es, wenn’s echt wird, nämlich im Genre der sogenannten True-Crime-Geschichten, in denen richtige Kriminalfälle nacherzählt oder analysiert werden. Wie riesig das Interesse daran ist, zeigt der Klassiker unter den True-Crime-Sendungen: „Aktenzeichen XY … ungelöst“ wurde 1967 von Eduard Zimmermann konzipiert und dann drei Jahrzehnte lang von ihm moderiert, die Sendung liegt regelmäßig ganz weit vorn bei den Quoten, Anfang 2024 mit mehr als fünf Millionen Zuschauenden pro Sendung. Die beteiligen sich nicht nur emotional, sondern auch praktisch, denn sie werden aufgerufen, die Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit zu unterstützen, und das tun sie mit großem Erfolg – von bislang 1646 geschilderten Tötungsdelikten konnten 678 aufgeklärt werden, hinzu kommen Hunderte von Raubüberfällen und Einbrüchen.

Mittlerweile ist eine ganze Landschaft aus True-Crime-Formaten entstanden, von Fernsehserien wie der Netflix-Serie „Dahmer“ über den Serienmörder Jeffrey Dahmer bis zu Podcasts wie „Verbrechen“ von der Redaktion der Wochenzeitung „Die Zeit“. Hier hebt der Bezug zur Wirklichkeit die Angstlust auf eine neue Ebene – es geht um Opfer, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Man mag eigentlich gar nicht drüber nachdenken, doch genau das tut Dr. Corinna Perchtold-Stefan, die am Institut für Psychologie der Karl-Franzens-Universität in Graz über das True-Crime-Genre forscht. Sie beschäftigt sich nicht nur mit der Angstlust, sondern auch mit einem gesellschaftlichen Thema, das bei vielen dieser Formate mitschwingt, nämlich der Tatsache, dass sie vor allem von Frauen und Mädchen konsumiert werden. „Man vermutet, dass sie so lernen wollen, was draußen in der Welt passieren kann und wie sie sich darauf vorbereiten und davor schützen können“, erklärt Perchtold-Stefan im Gespräch mit der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. „Ich habe beobachtet, dass in vielen True-Crime-Podcasts wie ein Mantra wiederholt wird, dass Frauen stärker auf ihr eigenes Bauchgefühl hören und ihren Instinkten vertrauen sollen. Sie sollen sich nicht durch soziale Normen verpflichtet fühlen, Dinge zu tun, die sie als bedrohlich empfinden.“

Echte Gefühle für fiktive Personen

Für meinen Geschmack ist das eine Spur zu viel Wirklichkeit, und ich habe mich schon einem neuen fiktiven Produkt zugewandt, um meinen Ruhepuls in die Höhe zu treiben: der Horrorserie „The Last of Us“. Hier bringt der Hauptdarsteller ein Mädchen, das gegen einen Zombie-Erreger immun ist, unter höchster Lebensgefahr zu einer medizinischen Forschungseinheit, damit man es dort untersuchen kann, um ein Gegenmittel zu finden. Es ist eine Serie mit, aber nicht über Zombies, denn in Wirklichkeit ist es eine Erzählung über Vertrauen und Zuversicht, eingewoben sind eine rührende Freundschaft zwischen zwei Kindern und eine zarte Liebesbeziehung. Ich denke, in solchen Darstellungen liegt häufig ein Teil unserer Angstlust begründet: Ohne Figuren, die eine bedeutsame Geschichte haben und deren Persönlichkeiten sich entwickeln, fehlt dem Thriller oft der Reiz. Wir fühlen die Angstlust, weil wir mitfühlen, und das gibt ihr eine angenehm überraschende Besonderheit. 

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