Erstellt von Xenia Frenkel

Guilty pleasures: Sündiges Vergnügen

Ein Stück Sahne-Biskuit-Torte
Guilty pleasures: ein Loblied auf die kleinen Sünden des Lebens

Schuld und Sahne: Genießen ohne Reue ist gar nicht so einfach | Foto: Victoria Romulo/Unsplash

Süßigkeiten, Schnulzen und Klatschmagazine – alles „böse“. Wo es oft um Gesundheit, Kultur und Erfolg geht, fällt es leicht, die kleinen Freuden des Lebens zu verteufeln. Doch dürfen wir nicht auch einmal genießen, was uns Spaß macht, auch wenn es nicht immer produktiv oder tiefgründig ist? Ein Loblied auf die kleinen Sünden, die uns glücklich machen.

Wann begann eigentlich die ständige Belehrung über „richtige“ Lebensführung? Heute kann man kaum noch ein Stück Kuchen mit Rahm genießen, ohne sich mit Gewissensbissen zu plagen. Der Begriff „Guilty Pleasure“, übersetzt als sündiges Vergnügen, hat sich in diesem Zusammenhang etabliert und steht für Vergnügungen, die man aufgrund gesellschaftlicher Normen oft mit Schuldgefühlen verbindet. Das bezieht sich keineswegs nur auf Torten. Es fällt alles darunter, was ohne das Prädikat „gesund“, „nachhaltig“, „künstlerisch wertvoll“ auskommen muss. Zu den „sündigen Vergnügungen“ gehören neben Süßigkeiten, Chips und Fast Food, Klatschmagazine, Liebesschnulzen, Unterhaltungsromane und so ziemlich alles, was im Privatfernsehen läuft. Kurzum, es sind Dinge, die für einen Moment recht glücklich machen können, derer man sich aber zu schämen hat. Wer sich dennoch dazu bekennt, versichert denn auch im gleichen Atemzug, es handele sich um eine der wenigen „guilty pleasures“, die man sich nur „ausnahmsweise“ gönnt.

Wertvoll ist angeblich nur, was einen weiterbringt

Die verlegene Ironie, wie sie in der Begrifflichkeit „guilty pleasure“ durchschimmert, soll vermutlich gegen abschätzige ­Kommentare schützen. Was aber soll, bitte schön, falsch oder „sündig“ daran sein, wenn man seichte Serien, Sahnetorte, Kitschromane und Schlager liebt? Ähnlich unsinnig ist die Annahme, der viel zitierte Bildungsnotstand rühre daher, dass sich die Leute in ihrer Freizeit lieber im „Sommerhaus der Stars“ oder mit den „Geissens“ amüsieren, statt im milden Schein einer Tischleuchte Goethes Farbenlehre zu studieren.

Nichts darf einfach nur Freude machen

Hinter dem Gerede von den angeblich sündigen Vergnügungen steckt die leider recht weitverbreitete Vorstellung, dass nur wertvoll ist, was einen irgendwie weiterbringt, bildet, neue Horizonte eröffnet. Demnach müssen Kunst und Kultur, Ernährung und sportliche Aktivitäten anstrengend, komplex und anspruchsvoll sein. Am besten so, dass man andere belehren, sprich, damit beeindrucken kann.

Stehen wir zu uns und unseren Vorlieben!

Natürlich ist rein gar nichts dagegen einzuwenden, sich weiterzubilden. Im Gegenteil, umso entspannender und vergnüglicher ist es, aus den Gefilden der Hochkultur auch mal in die Niederungen des schlechten Geschmacks hinabzusteigen. Wobei ich gar nicht recht weiß, wer oder was den guten Geschmack eigentlich definiert. Wichtiger scheint mir ohnehin, zu sich und seinen Vorlieben zu stehen. Als mein alter, durchaus musikkundiger Vater einmal zu einem Arnold-Schönberg-Konzert eingeladen war, bekannte er freimütig: „Zwölftonmusik? Davon verstehe ich nichts. Meine Frau und ich schauen heute Abend lieber ‚Der Bulle von Tölz‘.“ Ihm wäre nicht im Traum eingefallen, jemandem etwas vorzugaukeln, ­Bildung hin oder her.

Leichtigkeit und Lebensfreude

Niemand muss sich für seine kleinen Vergnügen rechtfertigen oder gar schämen. Warum auch? Ein über jede Kritik erhabener, angeblich perfekter Lebensstil ohne die eine oder andere kleine Schwäche scheint mir ohnehin suspekt. Eine solche Maskerade dient einzig dazu, sich abzugrenzen und als etwas Besseres zu fühlen. Abgesehen davon, dass ein derartiger Dünkel komplett aus der Zeit gefallen ist, geht damit auch ein Stück Gemeinsinn und Leichtigkeit perdu, wie wir sie gerade jetzt dringend brauchen. Vor ein paar Jahren sagte der amerikanische Filmkritiker Dan Kois in einem Interview: „Je älter ich werde, desto weniger Interesse habe ich daran, mein kulturelles Gemüse zu essen, egal, wie gut es für mich sein mag.“ Mir geht’s genauso. Und jetzt muss ich Schluss machen. Gleich kommt eine Freundin mit einer Packung Schokoküsse. Die teilen wir uns mit den „Geissens“. Wird Zeit, dass ich die kennenlerne.

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