Das Wort Gottes für Gehörlose
Etwa 90.000 Gehörlose leben in Deutschland und Österreich. Doch wie können sie an Gottesdienst und Gemeindeleben teilnehmen?
Wenn sich die Kirche füllt, die Organistin die ersten Töne anstimmt, die Messdiener die Glocke zum Einzug läuten und die Gemeinde anfängt zu singen, dann hört Schwester Judith Beule SMMP – nichts. Die 32-Jährige hat das Usher-Syndrom, eine erblich bedingte Hörsehbehinderung, die zu Erblindung und Taubheit führt. Sehen kann Sr. Judith von den Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel zwar noch, allerdings nur mit eingeschränktem Gesichtsfeld. Auch wenn sie taub ist, will die Ordensfrau, so wie alle anderen Gläubigen mit Hörbehinderung, das Wort Gottes hören. Dazu braucht man eine andere Art der Kommunikation, nämlich die Gebärdensprache.
Um möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, am religiösen Leben teilzunehmen, arbeitet Sr. Judith im Erzbistum Paderborn als sogenannte „Koordinatorin der Seelsorge für und mit Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen und taubblinde Menschen“. Eine solche Stelle oder ähnliche gibt es in den meisten Bistümern.
Braille, Gebärdensprache, leichte Sprache - die Bedürfnisse sind unterschiedlich
Es ärgert sie, dass viele Gemeinden denken, es reiche, vor der Kirche eine Rampe für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer anzubringen, um barrierefrei zu sein. Denn je nach Einschränkung haben die Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. „Taube Menschen brauchen Gebärdensprache. Blinde Menschen benötigen Leitsysteme oder Lieder in Braille, der Blindenschrift. Für taubblinde Menschen ist eine Taubblindenassistenz für taktile Gebärden wichtig. Menschen mit kognitiver Einschränkung brauchen Leichte Sprache“, weiß Sr. Judith. Ihr ist es zu verdanken, dass Menschen mit Einschränkungen zum Weltjugendtag 2023 nach Lissabon fahren konnten, dass es Bildungs- und Besinnungstage für gehörlose Menschen und Gottesdienste in Leichter und in Gebärdensprache gibt.
Im Dom zu Paderborn wurden bereits mehrfach Gottesdienste mit Gebärdendolmetschern gefeiert. Für kleine Dorfkirchen ist das jedoch schwer umzusetzen. „Vieles ist noch im Kommen, muss aufwendig organisiert werden. Meist bleibt den gehörlosen Menschen nichts anderes übrig, als etwa das Evangelium mitzulesen. Aber das ist nicht das Gleiche.“
Mehr Mut und mehr Verständnis
Es gibt noch weitere Hürden. Etwa bei der Beichte. Durch einen Gebärdendolmetscher wäre das Beichtgeheimnis nicht mehr gewahrt. Daher bieten manche Pfarrer schriftliche Beichten an. Der Gebärdensprache sind sie oder die Gemeindereferentinnen nicht mächtig. „Wenn das Erlernen der Gebärdensprache wie bei den evangelischen Kollegen in der Ausbildung ein fester Bestandteil wäre, würden sich vielleicht zukünftig mehr Menschen finden, die hier Gottesdienste und andere Veranstaltungen und Beichten anbieten könnten.“
Von ihren Mitmenschen wünscht sich Sr. Judith, dass sie ihr und anderen Gehörlosen zugestehen, ihre eigenen Stärken zu haben und ihren Alltag bewältigen zu können. Und was wünscht sie sich von anderen Gehörlosen? „Mehr Mut zu zeigen, dass sie da sind. Und Gebärdensprache einfordern.“
Unsere Gesprächspartnerin
Sr. Judith Beule SMMP arbeitet beim Erzbistum Paderborn als „Koordinatorin der Seelsorge für und mit Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen und taubblinde Menschen“. Sr. Judith von den Schwestern der hl. Maria Magdalena Postel sagt: „Taube Menschen sind aufmerksamer mit dem Herzen und mit den Augen“
Weiterführende Angebote
Chat-Seelsorge, Gottesdienste mit Gebärdensprache und viele weitere Angebote für Gehörlose finden Sie unter: ➜ www.taub-und-katholisch.de