Erstellt von Peter Kirchschläger

Oh, mein Gott? Jesus als Computer!

Jesus als KI
Eine künstliche Intelligenz erinnert ästhetisch an Jesus

In der experimentellen Kunstinstallation "Deus in machina" teilen Besuchende ihre Gedanken und Fragen in einem Beichtstuhl mit einem himmlischen Hologramm | Foto: Promo

Ein KI-Avatar mit langen Haaren sitzt in Luzern im Beichtstuhl und polarisiert

Anfang August vergangenen Jahres war es so weit. In der ältesten Kirche Luzerns, der Peterskapelle, saß den Gläubigen im Beichtstuhl ein von künstlicher Intelligenz erstellter Jesus-Avatar gegenüber. Besucher waren eingeladen, ihre Gedanken und Fragen mit ihm zu teilen. Ein Knopfdruck und der Mund des Hologramms, ein dreidimensionales Bild, das eine körperliche Präsenz im realen Raum hat, bewegte sich synchron zu seinen Worten. Der Jesus-Avatar spricht 100 Sprachen, kennt das Neue Testament in- und auswendig und weiß selbst Antworten auf komplexe ethische und theologische Fragen wie etwa die nach Sterbehilfe.

Spirituelle Erfahrung mit künstlicher Intelligenz

Insgesamt interagierten mehr als tausend Menschen mit dem Jesus-Avatar. Wobei laut Marco Schmid, einem theologischen Mitarbeiter der Peterskapelle, zwei Drittel der Nutzer die Erfahrung als spirituell empfanden. Einige fühlten sich sogar getröstet und gestärkt. Hier ist wichtig zu betonen, dass es sich nicht um ein offizielles Beichtsakrament handelte. Vielmehr sollte das vom „Immersive Realities Lab“, einer Forschungseinheit der Hochschule Luzern, entwickelte zweimonatige Projekt mit dem treffenden Namen „Deus in machina“ die Grenzen der künstlichen Intelligenz im religiösen Kontext kritisch ausloten und zum Nachdenken anregen.

Auch Peter Kirchschläger, katholischer Theologe, Philosoph und Ordinarius für theologische Ethik mit Schwerpunkt Ethik der „künstlichen Intelligenz“ und digitalen Transformation an der Universität Luzern, hat das Projekt kritisch begleitet. Er spricht statt von künstlicher Intelligenz lieber von datenbasierten Systemen (DS) und sagt: „DS können aus ethischer Sicht in vielen Bereichen unseres Lebens positiv eingesetzt werden und dazu beitragen, dass allen Menschen ein menschenwürdiges Leben und dem Planeten eine nachhaltige Zukunft ermöglicht wird. Religion zählt allerdings nicht zu diesen Bereichen, weil beispielsweise Pastoral und Seelsorge u. a. von zwischenmenschlicher Interaktion und von Beziehungen leben.“ Hier können die datenbasierten Systeme, also die künstliche Intelligenz, nichts bieten.

Antrainierte Gefühle

Auf das überraschend positive Echo auf den Jesus-Avatar reagiert Peter Kirschläger daher skeptisch. „Es mag ja sein, dass wir gewisse Menschen erreichen. Wir sollten aber aus ethischer Perspektive hinterfragen, wie, womit und wofür wir sie erreichen. DS sind nicht echt und haben weder Gefühle noch Empathie, sie simulieren Letztere nur und täuschen uns etwas vor. DS können nur das ausführen, was wir ihnen antrainiert haben. Ein generatives DS ist bildlich gesprochen nichts anderes als eine wiederkäuende Kuh, weil sie nur das wiederkäuen und ausspucken kann, was ihr als Daten bereits eingespeist worden ist.“

Erschwerend komme hinzu, dass das Kriterium der Wahrhaftigkeit keine Rolle spiele. Die DS lieferten, was syntaktisch korrekt ist und semantisch einigermaßen passt. Ob die Inhalte stimmen oder nicht, erweist sich dabei als nebensächlich. „Wir Menschen hingegen“, so Kirchschläger, „streben zumindest danach, dieses Kriterium zu erfüllen.“

Auch die datenbasierten Systemen sind nicht ganz objektiv

DS erweisen sich auch nicht als fair, neutral und objektiv, sagt Kirchschläger. „Sowohl die Daten als auch die Algorithmen, die DS ausmachen, kennen Verzerrungen, sogenannte ‚Bias‘. Natürlich haben wir Menschen auch Vorurteile, aber wir können uns selbstkritisch damit auseinandersetzen und dazu verhalten.“

Vor diesem Hintergrund plädiert der Theologe nachdrücklich dafür, dass Religionen ihre eigene ethische Kernkompetenz in den öffentlichen Diskurs über DS einbringen und Menschen im Umgang mit der Ungewissheit, die DS auslösen, begleiten.

Mehr spannende Texte lesen Sie in unserer Zeitschrift

Zur Zeitschrift

Zur Rubrik

Peter Kirchschläger ist katholischer Theologe, Philosoph und Ordinarius


Weitere Informationen finden Sie bei der katholischen Kirche der Stadt Luzern

Teilen