Wie die Steyler Missionare den Straßenkindern im Kongo helfen
Krieg, Elend, Armut: Der Kongo ist ein zerstörtes Land. Die Kinder trifft das mit brutaler Härte. Sie werden von ihren Familien zu Sündenböcken gemacht, viele gelten als verhext, werden von Scharlatanen exorziert. Etwa 50.000 von ihnen leben auf der Straße. Eine Steyler Organisation versucht, ihnen zu helfen.
Sobald die Sonne aufgeht, entwirren sich die Knäuel auf Kinshasas Plätzen und an den Straßenrändern. Dicht aneinandergepresst haben Kinder die Nacht auf dem kalten Boden verbracht, sich im Schlaf gegenseitig gewärmt. Für ein paar Stunden konnten sie vergessen, dass sie auf sich allein gestellt sind. Jetzt beginnt ihr täglicher Überlebenskampf erneut.
Auch der von Eddy. Der Zehnjährige macht sich auf zu den Märkten der Zwölf-Millionen-Stadt, um sich mit Handlangerarbeiten ein bisschen Geld für eine Mahlzeit zu verdienen. So wie die anderen Straßenkinder auch.
Als Hexenkinder gebrandmarkt
Wie viele es von ihnen in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo gibt, weiß man nicht, offizielle Zahlen gibt es keine. „Vermutlich sind es etwa 50.000 Jungen und Mädchen“, schätzt der Steyler Pater Ange Kufwakuziku. Und: „Die Jüngsten sind erst drei Jahre alt.“ Der Steyler Priester leitet die Organisation „Orper“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, zumindest einen kleinen Teil von ihnen von der Straße zu holen. In den drei Wohnheimen und zwei offenen Tageszentren von „Orper“ finden sie Schutz und Zuwendung.
„Magisches Denken und Aberglauben haben in den vergangenen Jahrzehnten in der kongolesischen Gesellschaft wieder zugenommen“, erklärt Philippe Yangala. Der Politologe und Forscher für Ethnologie und Entwicklung ist im Kongo aufgewachsen und promoviert an der Frankfurter Goethe-Universität über die Straßenkinder. Er nennt einen weiteren Aspekt des Problems: „Ist einem ein Missgeschick widerfahren, gehört es dort zur Mentalität, nach Schuldigen zu suchen.“ Und das sind oft die schwächsten Glieder einer Familie – die Kinder. Ihnen wird die Schuld zugeschoben, wenn ein Verwandter seinen Job verliert, jemand in der Familie erkrankt oder stirbt. Selbst ein kaputtes Auto oder ein zerbrochener Teller gilt als Beweis dafür, dass sie besessen sind.
Dieser unmenschliche Irrglaube ist letztlich die Folge einer, wie Philippe Yangala es nennt, „Multikrise des Landes“, das bis 1960 belgische Kolonie war. „Die Zerstörung und die Millionen Opfer, die die Kriege in dem Land seit der Unabhängigkeit hinterließen, haben zu einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe geführt und die Menschen traumatisiert“, sagt er. Über 70 Prozent der Bevölkerung verdienen weniger als zwei Dollar pro Tag. Dem Halt der Dorfgemeinschaft beraubt und hoffnungslos verarmt zerfallen Familienstrukturen, schwinden die Werte. Die Menschen werden anfällig für den Hexenglauben.
Es sind vor allem die Prediger der vielen freichristlichen Kirchen, aber auch private, vermeintlich kirchliche Gruppierungen, die diesen Glauben unterstützen. Immer mehr dieser Gemeinschaften werden gegründet und entwickeln daraus ein spezielles Geschäftsmodell: Exorzismus, um die Kinder von angeblichen Dämonen zu befreien. Manchen Kindern wird Öl in die Augen geträufelt. Andere werden mit heißem Kerzenwachs begossen, gequält, müssen hungern.
Von „Orper“ gerettet
Auch Eddy ist so ein Hexenkind. Er konnte es zu Hause nicht mehr aushalten, wählte die Straße. Und hatte Glück. „Mein Leben als Straßenkind fand ein Ende, als ein weißer Kleinbus mit dem Logo von ‚Orper bei meiner Schlafstelle parkte“, erzählt er. Mit einem Sozialarbeiter und einer Krankenschwester an Bord fährt der Wagen der Organisation Tag und Nacht in Kinshasa etwa 30 Plätze ab, an denen sich die Straßenkinder versammeln. Sie bekommen zu trinken und zu essen. Die Krankenschwester verbindet ihre Wunden, kümmert sich um erkrankte Jungen und Mädchen. Der Sozialarbeiter bietet den Kindern an, in eines der zwei offenen Tageszentren von „Orper“ zu kommen, warnt sie vor den Gefahren, die auf der Straße drohen.
Eddy ging irgendwann regelmäßig in das Tageszentrum. Endlich einfach Kind sein. Und nachdem er sich den Mitarbeitern von „Orper“ öffnete und seine Geschichte erzählte, machten sie sich auf die Suche nach Onkel und Tante, in der Hoffnung, dass sie den Jungen wieder aufnehmen würden. „Kinder gehören in ihre Familie“, betont Pater Ange. Etwa 80 Kinder im Jahr finden durch „Orper“ zu ihren Verwandten zurück. Eddy ist einer davon. Er geht sogar regelmäßig zur Schule.
Weitere Informationen zu diesem und anderen Steyler Projekten finden Sie in unserer Zeitschrift.
Kongo: Staat ohne Zukunft
Obwohl reich an Bodenschätzen, gehört das Land zu den zehn ärmsten der Welt.
Die Geschichte der Demokratischen Republik (DR) Kongo ist geprägt von grausamem Kolonialismus, Ausbeutung, Diktatoren und Bürgerkriegen. 1960 wurde das Land unvorbereitet in die Unabhängigkeit entlassen. Der erste Premierminister Patrice Lumumba wurde im folgenden Jahr ermordet. Nach einem Putsch begann 1965 das brutale Gewaltregime von Diktator Mobutu, in dessen Folge Unruhen das Land erschütterten, die Wirtschaft zusammenbrach. Im ersten Kongokrieg (1996–1997) wurde er gestürzt. Laurent-Désiré Kabila wurde 1997 neuer Präsident. Ein weiterer Krieg folgte. 2006 wurde mit Joseph Kabila der erste demokratisch gewähl- te Präsident vereidigt. 2007 begann der dritte Kongokrieg, er endete 2009. Seit 2019 ist Félix Tshisekedi gewählter Präsident.