Erstellt von Melanie Fox

Gabriele von Arnim: „Ich finde das Leben immer wieder sehr aufregend“

Gabriele von Arnim: „Ich finde das Leben immer wieder sehr aufregend“
Gabriele von Arnim: „Ich finde das Leben immer wieder sehr aufregend“

„Ich habe gelernt, intensiver zu genießen“, sagt Gabriele von Arnim heute. | Bild: Ralf Hiemisch

Nach 20 Ehejahren wollte sich Gabriele von Arnim von ihrem Mann trennen. Da wurde er über Nacht zum Pflegefall. Sie blieb. Und pflegte ihn fast zehn Jahre.

Leben jetzt: Statt Ihren Mann zu verlassen, sind Sie geblieben. Warum?
Gabriele von Arnim: Ich hatte gar keine andre Chance. Mein Mann, mit dem ich schon so viele Jahre zusammengelebt hatte, war so niedergeschmettert durch seinen Schlaganfall. Auch wenn ich ihm gesagt hatte: „Ich kann nicht mehr mit dir leben!“, hieß das ja nicht, dass ich ihn nicht mehr mochte. Insofern gab es für mich gar keine andere Möglichkeit, als diesem Menschen, mit dem mich nach wie vor eine tiefe und lange Verbundenheit einte, zur Seite zu stehen.

Lj: Was hat sie verbunden?
von Arnim: Sein Humor, seine Intelligenz und sein ungeduldiger Verstand, das war auch alles noch da. Wir konnten immer unglaublich gut zusammen lachen, selbst in diesen zehn Jahren des Elends. Mein Mann konnte nicht mehr laufen, lesen, schreiben, kaum sprechen, aber er war völlig klar im Kopf und hatte seinen Humor nicht verloren, was ich immer sehr bewundert habe. In einem Moment hat er gesagt: „Sobald ich kann, bringe ich mich um!“, und im nächsten Moment hat er schallend gelacht. Diese Widersprüchlichkeit, diese doppelten Gleise, auf denen man fährt in einem solchen Leben, die haben uns immer wieder gerettet.

Lj: Auch Sie wurden krank, während Sie Ihren Mann pflegten. Wie haben Sie es geschafft, nicht aufzugeben?
von Arnim: Es gab immer wieder Momente, in denen ich das Gefühl hatte, jetzt bin ich wirklich am Ende, meine Batterien sind leer, ich kann nicht mehr. Irgendwie ging es dann doch weiter. Wenn beispielsweise eine Freundin kam und sich drei Tage um meinen Mann gekümmert hat, damit ich mal wegfahren konnte. Das hat mich aufgerichtet. Aber um so eine Hilfe zu bitten, das fiel mir nicht leicht.

Lj: Nach fast zehn Jahren Pflege ist Ihr Mann dann gestorben. Jenseits der Trauer – was war Ihre überraschendste Erfahrung?
von Arnim: Ich wusste überhaupt nicht mehr, wie man Zeit füllt. Während der Krankheit waren die Tage getaktet, ich wusste immer genau, wann ich wo zu sein hatte. Und auf einmal wachte ich am Morgen auf, und dann lag dieser ganze Tag vor mir. Im ersten Monat nach seinem Tod war immer jemand bei mir, sodass der Tag nicht so unendlich leer und drohend war. Dann habe ich langsam gelernt, mit mir allein zu sein. Ziemlich schnell habe ich wieder angefangen zu arbeiten; da ich während der Krankheit nie ganz aufgehört hatte, konnte ich gut daran anknüpfen. Inzwischen kann ich gut alleine sein, lese viel, treffe Freunde, ich mag meine Wohnung und freue mich, nach Hause zu kommen.

Lj: Wie fühlt sich Ihr Leben heute an?
von Arnim: Es gibt Momente, in denen ich ein bisschen verzagt bin, und es gibt die Momente, in denen ich denke, es ist so schön, noch leben zu können, es gibt noch so vieles zu erleben, so vieles, was ich noch nicht gesehen, gehört, gelesen, gewagt habe. Ich finde das Leben immer wieder sehr aufregend. Glück, das sind für mich andere Menschen, Natur, Spaziergänge im Wald, schwimmen im See, Literatur, mit jemandem reden und natürlich meine Enkelkinder.

Mehr Fragen und Antworten lesen Sie in unserer Zeitschrift.

Zur Rubrik

Zur Person

Die Journalistin, Autorin und Moderatorin Gabriele von Arnim, 74, war für verschiedene Hörfunk- und Fernsehsender, unter anderem arte, tätig und hat mehrere Bücher veröffentlicht. 30 Jahre war sie mit dem Fernsehjournalisten und Moderator Martin Schulze verheiratet. Die letzten zehn Jahre hat sie ihren schwer kranken Mann zu Hause gepflegt. Gabriele von Arnim lebt in Berlin.

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