Lieber Josef,
die Quellenlage zu dir ist dürftig. Nur Matthäus und Lukas gehen eher beiläufig auf dich ein. Drei Träume, ein paar Erwähnungen, das war’s. Von dir selbst kein Wort. Das ist sehr schade, denn ich finde dich mehr als bemerkenswert.
War Josef ein Greis?
Josef trug wohl Bart, so wie er im 3. Buch Mose für erwachsene Männer vorgeschrieben ist. Ein hohes Alter lässt sich davon nicht ableiten. Selbst wenn Josef bereits verwitwet war, wird er kaum älter als 35 gewesen sein.
Nicht nur Frauen, auch Männer heirateten damals jung und Verwitwete hatten sich binnen eines Jahres wieder zu vermählen. Die fast greisenhaften Darstellungen des Josef von Nazareth der alten Meister sollten wohl eher den Eindruck eines schon altersbedingt keuschen Mannes erwecken.
Der Mann Josef
Das mit dem einfachen Zimmermann ist vermutlich einem Übersetzungsfehler geschuldet. In der griechischen Übertragung der Heiligen Schrift wird sein Beruf als „Tecton“, Baumeister oder Architekt, angegeben. Vermutlich lebte Josef in bescheidenen, aber doch gesicherten Verhältnissen. Darauf deutet auch seine Abstammung hin. Wie Maria kam er aus dem Haus David. Bei den Israeliten war es üblich, innerhalb des eigenen Stammes zu heiraten. Interessant ist, dass das Haus David die einzige Königsdynastie der Israeliten ist. Josef entstammte also gewissermaßen dem Adel. Ohnehin: Hätte Gott für Maria und ihr ungeborenes Kind, seinen Sohn, wirklich einen mittellosen Tattergreis ausgesucht? Das kann ich mir nicht recht vorstellen.
Ein Mann aus Nazareth mit großem Herz
Da ist er nun, ein Witwer in der Mitte des Lebens. Die Evangelisten beschreiben ihn als gerecht, gehorsam und fromm im Sinn jüdischer Gesetzestreue. Und ausgerechnet dieser Mann geht eine höchst ungewöhnliche, um nicht zu sagen heikle Verbindung zu einer Frau ein, die plötzlich schwanger ist, und das nicht von ihm. Was mag man wohl getuschelt haben?
Die Bibel berichtet darüber nichts, aber man kann sich denken, was seine Umgebung davon gehalten hat. Umso beeindruckender ist, dass Josef zu Maria steht. Er gibt sich offiziell als Vater des ungeborenen Kindes aus und folgt im Vertrauen auf Gott seinem Herzen.
Ein Vater mit Weitblick
Auf einer Pilgerreise zu Pessach nach Jerusalem bleibt der zwölfjährige Jesus unbemerkt in der Stadt. Drei lange Tage suchen die Eltern nach ihm. Als sie Jesus endlich im Vorhof des Tempels entdecken, ist Maria verständlicherweise aufgebracht, macht ihm Vorwürfe, und was erwidert Jesus? „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Damit meint er nicht sein Elternhaus, sondern den Tempel, ein Verweis auf seinen himmlischen „Abba“.
Wir wissen nicht, was Josef damals durch den Kopf ging, aber ich glaube, er reagierte verständnisvoll und besonnen. Er verstand, dass die Bestimmung von Jesus eine ganz andere sein würde als seine.
Nach dem Vorfall im Tempel verschwindet Josef. Kein Wort mehr in der Heiligen Schrift. Die Forschung vermutet, dass er zwischen der gemeinsamen Wallfahrt und dem öffentlichen Auftreten von Jesus gestorben sein könnte. Aber ist das wirklich alles, was von ihm bleibt?
Josef, der Schutzheilige in verzweifelter Lage
Meine Lieblingsheilige Teresa von Avila pflegte eine besondere Beziehung zu Josef. Sie ernannte ihn zu ihrem persönlichen Schutzpatron und zu dem für die meisten von ihr gegründeten Klöster. Ansgar Wucherpfennig, Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, sagt, Josefs Schweigsamkeit, Fürsorge und Gerechtigkeitssinn, seine Offenheit für das Transzendente und die Menschlichkeit, die womöglich treulose Braut nicht zu verstoßen, seien vorbildhaft. Bis heute rufen Menschen auf der ganzen Welt Josef in Versuchungen und Verzweiflung an. Und vielleicht erinnern sie sich, dass dieser Josef ein ganz besonderer Vater und Mensch war.
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