Diese Frage finde ich sehr erhellend. Ihr liegt die richtige Beobachtung zugrunde, dass Jesus punktuell heilt, aber nicht systematisch Krankheit bekämpft und ausmerzen will. Sonst wäre er Arzt geworden und hätte Hunderte von Spitälern gegründet.
Eine Stelle, die dies sehr deutlich macht, ist Mk 1,32-39. Jesus hat im sabbatlichen Synagogengottesdienst in Kafarnaum einen besessenen Mann geheilt. Bald weiß es die ganze Stadt. Am Abend nach Sonnenuntergang – der Sabbat ist nun vorbei, und die Leute dürfen aus ihren Häusern – „brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt“.
Da kommt alles versteckte Leid zum Vorschein und klammert sich an den Hoffnungsschimmer, der so unvermutet aufgetaucht ist. „Und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten.“ Am nächsten Morgen setzt sogleich der Zustrom an Kranken von Neuem ein. „Alle suchen dich.“ Aber Jesus entzieht sich dem Ansturm. Er will im benachbarten Dorf heilen.
Warum nur? Liebt Jesus halbe Sachen? Warum rottet er nicht zuerst in Kafarnaum alle Krankheiten aus, dann im nächsten Dorf, im übernächsten usw.?
„Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen.“
Für Jesus sind seine Wunder Zeichen für den Anbruch der Gottesherrschaft – hier und jetzt, mit seinem Wirken. Zeichen! Hinweisschilder! Wer beim Wegweiser stehen bleibt und nicht der Richtung folgt, die er anzeigt, hat den Sinn des Wegweisers nicht verstanden.
Wer nur sieht, dass Taube wieder physisch hören und Blinde wieder physisch sehen können, aber nicht weiterschreitet zur grundlegenden Heilung von seiner Taubheit und Blindheit gegenüber Gott, der hat den Sinn der Wunderzeichen Jesu nicht verstanden. Es geht Jesus um viel mehr, um viel Grundlegenderes als „nur“ um die Heilung unserer physischen Gebrechen.
Es geht ihm um das viel größere Wunder, um die Heilung unserer größten Not, unserer spirituellen Gebrochenheit, sodass wir uns nicht jede Sekunde unseres Lebens getragen wissen von einer unsäglich größeren Kraft, die es unsäglich gut mit uns meint; sodass wir die Stimme ihrer Verheißung nicht hören und die Fingerzeige ihrer Wegweisung nicht sehen und das Vertrauen, ihr zu folgen, nicht aufbringen.
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