Zunächst: Jona im Walbauch ist nicht der Höhepunkt der Jona-Geschichte, sondern nur der Höhepunkt der ersten Hälfte. Jona erhält von Gott den Auftrag, „Ninive“ zu bekehren. Zu dem Zeitpunkt, als die Geschichte geschrieben wurde (3. Jh. v. Chr.), war Ninive längst ein Ruinenhügel, in dem kein Mensch mehr lebte (seit 612 v. Chr.!). Aber „Ninive“ war sprichwörtlich geworden: die hochmütige, größenwahnsinnige Stadt, die Hauptstadt eines Weltreichs, das drei Jahrhunderte lang ständig expandiert ist, indem es den Alten Orient mit Kriegs-, Raub- und Eroberungszügen überzog. Das Raubgut und die Steuern der eroberten Länder sammelten sich in Ninive. „Hochmut kommt vor dem Fall“ – Ninive war das Beispiel dafür. Mit seiner Eroberung brach das Assyrische Weltreich beinah von heute auf morgen zusammen.
Dieses sprichwörtlich gewordene Ninive sollte Jona zur Umkehr und Buße aufrufen. Doch Jona entzieht sich dem Auftrag – warum, wird den Lesenden erst ganz am Schluss verraten. Ninive liegt im Osten von Palästina, Jona flieht an den Atlantik. Das Ergebnis dieses Fluchtversuchs vor Gott ist, dass er von einem Wal verschluckt wird. Dort muss er drei Tage und drei Nächte in sich gehen, ehe er vor Ninive an Land gespuckt wird. In einen Bauch zurückkehren heißt, in einen vorgeburtlichen Zustand zurückversetzt zu werden. Jona muss wahrlich weit zurückgehen, um an dem Punkt seiner Irreleitung die Kurskorrektur vornehmen und nun den richtigen Weg einschlagen (wiedergeboren werden) zu können.
Ihm wurde schon in die Wiege gelegt, dass JHWH der Gott Israels ist und dass er Israel unverbrüchlich die Treue hält, über Israels Treuebrüche hinweg. Da wurde Jona wahrlich etwas Gutes, Richtiges, Wichtiges vermittelt. Blöd, dass eine Kleinigkeit daran nicht stimmt: die Einengung auf Israel.
Von einem Wal verschluckt werden heißt, von der viel größeren Realität eingeholt zu werden. Es war schon ein gewaltiger Lernschritt Israels, dass Gott nicht rachsüchtig, aufbrausend im Zorn, sondern langmütig, reich an Huld und Erbarmen, stets bereit zu verzeihen ist. Aber noch einmal ein gewaltiger Lernschritt war es, dass dies nicht bloß bezogen auf Israel wahr ist, sondern auch auf die Assyrer und Niniviten.
Für uns mag gelten, dass der Lernschritt, den das Jonabüchlein vermitteln will, vollzogen ist. Gott ist kein Nationalgott, sondern der Gott aller Völker und Menschen. Aber vor krassen Verirrungen, in die uns selbst in die Wiege gelegte (Halb-)Wahrheiten verstricken können und vor denen uns nur das Scheitern und „Landen im Walfischbauch“ rettet, sind auch wir nicht gefeit.
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