„Du bist nun mein älterer Bruder.“ Das schrieb mir Zoran in seinem ersten Brief. Damals kannte ich ihn noch nicht. Das Einzige, was ich wusste: Er lebt in Nordmazedonien, ist etwa 50 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und leidet seit Jahren an Leukämie. Und obwohl zwischen uns keine Verwandtschaft besteht, sind wir doch brüderlich verbunden. Da hat Zoran völlig recht. Denn sein Blut enthält meine Stammzellen. Deshalb hat er überlebt.
Schon seit etwa 30 Jahren bin ich in der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) registriert. Man hat mich auch schon mehrmals angefragt, fand dann aber einen besseren Spender. Doch vor bald fünf Jahren wurde es ernst – meine Gewebemerkmale passten genau.
So läuft die Stammzellenspende ab
Fünf Tage lang musste ich ein Medikament einnehmen, das die Stammzellenproduktion anregt. Dann wurden mir zwei venöse Zugänge gelegt. Aus einem wurde mir Blut entnommen und die Stammzellen wurden herausgelöst. Über den anderen Zugang floss das Blut wieder in den Körper zurück. Es dauerte ein paar Stunden und tat überhaupt nicht weh. Nur in seltenen Fällen wird unter Narkose Knochenmark entnommen. Schon einen Tag später wurden Zoran meine Stammzellen transplantiert.
Nach einer Spende gilt eine zweijährige Anonymitätspflicht. Erst danach kann man über die DKMS einen Brief verschicken. Das habe ich getan, ihm ein bisschen von mir, meiner Familie, meinem Beruf als Religions- und Sportlehrer erzählt. Bald erhielt ich seine Antwort, in der er mich als Bruder bezeichnete. Die Stammzellenspende hätte nicht nur sein Leben verlängert, sondern mich auch zum Teil seiner Familie gemacht.
Den Lebensretter kennenlernen
Kurz vor Weihnachten 2021 dann das erste Videotelefonat, wenn auch mit schlechter Bildqualität. Da saßen dann in Castrop-Rauxel und Skopje zwei komplette Familien vor dem Laptop. Auf Englisch konnten wir uns ganz gut verständigen. Zu wissen, dass er gesund ist, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen – das war das größte Geschenk, das man mir machen konnte. Seitdem haben wir Blutsbrüder regelmäßig Kontakt, reden über alles mögliche. Über den Glauben, der uns beiden wichtig ist. Über Fußball – eine Leidenschaft, die wir teilen. Über sein Leben als Frührentner, weil er seinen Beruf als Schlosser nicht mehr ausüben kann. Und über das große Glück, dass ich ihm helfen konnte.
Im vergangenen Jahr haben meine Frau und ich ihn und seine Familie in Skopje besucht. Am Flughafen nahmen wir uns das erste Mal in den Arm. Ein ganz besonderer, ergreifender Augenblick für uns beide. Eine Woche wohnten wir bei ihnen in ihrem kleinen Häuschen; ein Hotel zu nehmen hätten sie als Beleidigung empfunden. Wir wurden bei allen Verwandten herumgereicht, jeder wollte „Danke“ sagen. Mein Bruder und ich nennen es eine Fügung, was da zwischen uns passiert ist. Und es könnte noch viel mehr solcher Fügungen geben, wenn sich mehr Menschen registrieren lassen würden.