Steyler Schwestern über das Recht auf Würde der Frauen in Indien
Viele Frauen in den Slums von Pune arbeiten für einen mageren Lohn als Hausangestellte, werden schikaniert, erleben häusliche Gewalt. Steyler Schwestern unterstützen sie, damit sie endlich gehört werden. Hier erzählt eine Schwester und eine der Frauen
"Wir setzen uns für die Frauen ein"
Schwester Helen Saldanha SSpS, Juristin und Leiterin von Streevani, über die Arbeit der Organisation
Leben jetzt: Was ist das Ziel von Streevani, zu Deutsch Stimme der Frauen?
Helen Saldanha SSpS: Wir setzen uns für die Frauen in den Slums von Pune ein, engagieren uns für ihre Gleichstellung und bessere Arbeitsbedingungen. Die meisten haben kaum Schulbildung oder sind Analphabeten. Sie erledigen die Hausarbeit in mehreren Familien, bekommen dafür aber nur einen minimalen Lohn, haben keine soziale Absicherung, werden schlecht behandelt. Die Mehrheit der Ehemänner trinkt, häusliche Gewalt ist weitverbreitet.
Lj: Wie helfen Sie den Frauen konkret?
Saldanha SSpS: Wir haben eine Gewerkschaft gegründet, bringen die Frauen in örtlichen Gruppen zusammen, wo sie sich gegenseitig stärken. Und wir klären sie über ihre Rechte auf, sprechen über Gleichberechtigung, betonen ihre Würde. In Workshops können sie einüben, wie sie am besten mit dem Arbeitgeber über Arbeitsbedingungen und Gehalt verhandeln. Oder wie sie sich gegen sexuelle Belästigung wehren können – das ist in Indien ein großes Thema. Bei privaten oder beruflichen Streitigkeiten stehen den Frauen unsere Juristen kostenlos zur Seite. Gemeinsam mit anderen Organisationen bilden wir die Frauen außerdem weiter, geben etwa Kurse in Kochen, Haushaltsführung, Kindererziehung. Oder zeigen andere Verdienstmöglichkeiten auf – Schneidern etwa. In Selbsthilfegruppen können die Frauen monatlich einen kleinen Betrag ansparen und bei Bedarf für einen minimalen Zinssatz einen Kredit bekommen.
"Ich habe mir Respekt verschafft"
Müde sieht Saraswati aus. Und erschöpft. Tiefe schwarze Ringe haben sich um ihre Augen eingegraben. Gegen sieben Uhr morgens war sie von der Nachtschicht an der Pforte einer Firma zurückgekommen, hat für ihren Mann und den erwachsenen Sohn Essen zubereitet, um sich dann wieder auf den Weg zu machen: fünf Stunden putzen und kochen in unterschiedlichen Haushalten.
Normalerweise würde sie sich jetzt zum Schlafen hinlegen. Doch sie möchte ihre Geschichte erzählen. Und darüber, wie Streevani ihr geholfen hat. Die zierliche Frau, die viel älter aussieht als 40, sitzt auf dem Boden des engen Raumes, Wohn- und Schlafzimmer zugleich. Um sie herum ihre Nachbarinnen wie eine Art Schutzwall. Doch den braucht sie nicht. Sie redet lebhafter, als man es ihr zutraut, bringt die Frauen mehrfach zum Lachen, strahlt Stärke aus.
Saraswati erzählt, dass sie nach der Hochzeit zu ihrem Mann und dessen Familie zog, so wie es in Indien üblich ist. Auf die Frage, ob es eine Liebesheirat war, lachen die Frauen laut auf. Die meisten Ehen sind arrangiert, auch die von Saraswati. Die Schwiegermutter behandelte sie sehr schlecht, auch das ist in Indien nicht gerade selten. Sie bekam zu wenig zu essen, wurde von ihr und der Schwägerin verprügelt. Einmal so schwer, dass sie ohnmächtig wurde. Die Polizei glaubte ihr nicht, ihr Mann beschützte sie nicht. Die Familie zwang sie, in einer Ziegelei am Brennofen zu arbeiten. Eine harte Arbeit für die junge Frau, die dafür viel zu schwach war. Sie fand einen Job als Hilfslehrerin, der ihr sehr gefiel, doch die Schwiegermutter holte sie zurück zur Ziegelei. Es war sinnlos, sich zu wehren.
Bei den Erinnerungen kommen ihr die Tränen. Auch die Nachbarinnen weinen, nehmen sie in den Arm. Einige von ihnen werden Ähnliches erlebt haben.
Zu ihren Eltern konnte Saraswati nicht zurück, das hätte die Familie entehrt. 2006 begann sie dann, als Hausangestellte bei fünf Familien zu putzen und zu kochen. Ihr Monatslohn: etwa 14 Euro. Während der Arbeit durfte sie sich nicht hinsetzen, bekam als Verpflegung alte Essensreste, freie Tage gab es keine, auch nicht am Wochenende.
„Als Streevani die Arbeit in meinem Slum aufnahm, begann sich mein Leben zu ändern.“ Sie trat der Gewerkschaft bei, nahm an unterschiedlichen Workshops teil. Nach und nach gewann sie innere Kraft, wurde schließlich zur Leiterin der örtlichen Gewerkschaftsgruppe gewählt. „Ich lebte nicht mehr in Angst, ich bekam mehr Vertrauen in mich selbst.“ Weil sie gelernt hat, wie man Gehaltsverhandlungen führt, verdient sie inzwischen deutlich mehr. Und bekommt zwei bezahlte Tage im Monat frei.
Schwiegermutter, Schwägerin und Ehemann begegnen ihr mittlerweile mit Respekt. Schläge muss sie nicht mehr fürchten. Die Schwägerin habe sogar Angst vor ihr, sagt sie. Und nicht nur die. Ihre Nachbarinnen lachen laut, als sie erzählt, wie sie einem Fremden, der sie sexuell belästigte, heißen Tee ins Gesicht schüttete. Ein anderer bekam von ihr eine Ohrfeige.
Dann ein neuer Schicksalsschlag. Ihr Mann, der auf dem Bau und als Straßenhändler arbeitet, nahm bei einem Wucherer einen Kredit auf, um das Haus zu erweitern. Geld, das er nicht zurückzahlen kann. Das geht nur mit Saraswatis Hilfe. Deshalb die Nachtschichten.
Die Nachbarinnen sind in großer Sorge um ihre Gesundheit. Sie arbeite zu viel. Saraswati ist beliebt hier im Slum, ein Vorbild, jemand, der inspiriert und motiviert, erzählen die Frauen. Nach dem Gespräch kauert sie sich erschöpft auf dem Boden zusammen und schläft ein.