Unser „Tun und Reden“ muss aus dem Schweigen kommen, sonst verkommt es zum „Getue und Gerede“. Diese Überzeugung ist in mir in den letzten Jahren so stark geworden, dass ich jeden Vormittag in der Stille verbringe, um dann am Nachmittag für jene Menschen da zu sein, die ein offenes Ohr für ihre Anliegen suchen. Und das sind viele, denn immer mehr Menschen kommen kaum noch zurecht mit den Krisen in der Welt da draußen und mit ihrer kleinen Alltagswelt zu Hause oder am Arbeitsplatz. Präsenz statt Projekte ist deshalb für mich zu einem wichtigen Leitsatz meines derzeitigen spirituellen Lebens geworden.
Einfach da sein
Wie richtig sich das anfühlt, habe ich gemerkt, als eines Tages ein junger Mann vor der Tür meiner Klause stand und mit Tränen in den Augen um ein Gespräch bat. „Sie sollen aber wissen, dass ich mit Glauben und Kirche nichts zu tun habe“, meinte er zu mir und fügte hinzu: „Ich war schon jahrelang nicht mehr in der Kirche und bete auch nicht. Aber eben, als ich mich für ein paar Minuten in die kleine Kapelle setzte, wurde ich auf einmal ganz ruhig. Ist das nicht seltsam?“
Ich konnte den jungen Mann beruhigen. Ich versicherte ihm, dass ich niemanden, der mit mir sprechen wolle, nach dem „religiösen Parteibuch“ fragen würde. „Und dass Sie in der Kapelle zur Ruhe gekommen sind, freut mich. Das war doch eine gute Erfahrung für Sie. Vielleicht können Sie es ja jetzt öfters tun.“
Aufmerksame Zuhörer tun gut
Eine Stunde lang dauerte das Seelsorgegespräch mit dem jungen Mann, bei dem er sich all seinen Schmerz von der Seele reden konnte. Auch Tränen flossen, die ihm unangenehm waren. „Meine Freunde würden mich als ‚Weichei‘ verspotten, wenn sie mich in Ihrer Gegenwart weinen sehen würden“, meinte er, als ich ihm ein Taschentuch reichte. „Ach, wissen Sie, beim Weinen werden unsere Emotionen aus dem Körper herausgespült. Von daher ist es gut, dass Sie hier und jetzt weinen können. Das braucht Ihnen nicht peinlich zu sein“, war meine Reaktion, und ich hörte weiterhin seinem Kummer zu, von dem er mir erzählte.
Am Ende bedankte sich der junge Mann für die Zeit, die ich ihm geschenkt hatte, und für das offene Ohr. „Wissen Sie“, meinte er beim Abschied mit einem Lächeln im Gesicht, „nie hätte ich geglaubt, dass ich mal so offen mit einem Vertreter der Kirche über meine innere Not reden könnte. Das tat jetzt richtig gut.“
Mit aller Anteilnahme zuhören
In der Stille des Abends, als ich meinen Tag Revue passieren ließ, kam mir das kleine Mädchen Momo in den Sinn, aus dem gleichnamigen Roman von Michael Ende. Von ihr heißt es: „Sie saß nur da und hörte einfach zu. Mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme … und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt, und erzählte alles der kleinen Momo, dann wurde ihm auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich irrte und dass er auf seine besondere Art für die Welt wichtig war.“
Die Begegnung mit dem jungen Mann macht mir einmal mehr deutlich, dass in unserem Leben nicht nur das „Machen und Tun“ wichtig ist. Manchmal reicht es auch, einfach nur da zu sein und zuzuhören.