Dass so viele Menschen die zwei großen Kirchen verlassen, tut weh. Nicht nur mir, sondern auch vielen, die mit ihrem Glauben ringen und das Gespräch mit mir suchen. Ich denke da an eine Person, die bei diesem Thema noch nicht mit sich im Reinen ist. „Ich kann das einfach nicht mehr glauben, was wir als Kinder vom Pfarrer und vom Lehrer eingetrichtert bekommen haben“, vertraute sie mir an. „Ich habe über die Jahre so viele Zweifel an meinem Glauben bekommen. Und doch ist da irgendwas in meinem Hinterkopf, das mich nicht loslässt und was ich vielleicht Gott nennen würde.“
Ich kann diesen Menschen so gut verstehen, weil es auch mir in vielen Belangen des Glaubens und des kirchlichen Lebens ähnlich ergeht. Zwar denke ich nicht daran, aus der Kirche auszutreten. Dennoch frage ich mich, wie ein echtes Glaubensleben heute gelingen kann. Alte Antworten für die dramatische „Zeitenwende“ auch im religiösen Leben erschließen sich vielen Zeitgenossen immer weniger. Vor allem dann nicht, wenn sie einem als Kind und Jugendlicher „eingetrichtert“ wurden, um meinen oben erwähnten Gesprächspartner noch einmal zu zitieren. Damit aber das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird, braucht es in der Tat neue Wege, um Gott auf die Spur zu kommen.
In meinen stillen Stunden am Vormittag erfahre ich Gott immer wieder als nicht fassbar. Er ist und bleibt für mich das absolute Geheimnis. Das anzuerkennen, fällt mir nicht immer leicht. Karl Rahner argumentierte bereits in den 60er-Jahren, dass auch die Lehre der Kirche Gott letztlich nicht fassen und erklären kann. Glaubenssätze können hilfreich sein, gewiss. Aber, so meinte er einmal: „Dogmen sind wie Straßenlaternen. Sie beleuchten den Weg der Gläubigen. Aber nur Betrunkene halten sich an ihnen fest.“
Die Unbegreiflichkeit Gottes im ganz persönlichen Leben auszuhalten und die Suche nach Gott im Alltag nicht aufzugeben: Dazu machte ich meinem Gegenüber im Gespräch Mut. Dabei verriet ich ihm, dass dies letztlich ja auch einer der Gründe ist, warum ich mich vor über drei Jahren für das eremitische Leben in der Klause entschieden habe. Nicht etwa, um vor den unangenehmen Fragen und den Herausforderungen im religiösen Leben zu flüchten. Auch und erst recht nicht – um im Bild von Karl Rahner zu bleiben –, um mich krampfhaft an den Straßenlaternen der Dogmen festzuklammern, sondern vielmehr, um die Tiefe auszuloten, die mir vor allem die christliche Tradition anbietet, wie sie sich unter anderem in der Mystik bei einer Teresa von Ávila oder auch bei Meister Eckhart finden lässt.
Die stille Zeit am Vormittag und auch die ruhigen Abendstunden sind dabei zu meinen Lehrmeistern geworden. Sie öffnen mir am besten meine Sinne für eine andere Welt und lassen mich daran glauben, was Karl Rahner ebenfalls einst prophezeite: „Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“