Das fairste Dorf Deutschlands: Kirchanschöring
Kirchanschöring, ein Dorf in Oberbayern, ist die erste Gemeinde Deutschlands, die das Gemeinwohl der Einwohner in den Mittelpunkt stellt. Das Ergebnis: Ein faires und solidarisches Leben für alle
Kirchanschöring ist die erste gemeinwohlbilanzierte Gemeinde Deutschlands. Um zu erklären, was das bedeutet, muss Bürgermeister Hans-Jörg Birner ein wenig ausholen: „Die Gemeinwohl-Idee ist viel Theorie und Wissenschaft, und nicht alles teile ich hundertprozentig, aber die Grundidee ist hervorragend. Nicht die Gewinnmaximierung steht im Vordergrund, wenngleich natürlich jeder auch Gewinne machen darf, aber eben vor dem Hintergrund des Gemeinwohls. Die Allgemeinheit und die kommenden Generationen sollen einen Nutzen haben und dürfen nicht geschädigt werden.“
Birner bezieht sich dabei auf die bayerische Verfassung. „Darin steht, dass die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl zu dienen und für alle ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten hat.“ Dass als erfolgreiche Gemeinde gilt, wo die meisten Rücklagen auf dem Konto liegen, die meisten Straßen gebaut und die meisten Kubikmeter Beton verbaut werden, hält er für den falschen Ansatz. „Das Dreieck Ökologie, Ökonomie und Soziales muss im Ausgleich sein, keine Seite darf vernachlässigt oder bevorzugt werden.“
Bürgerbeteiligung durch Räte
Durch die Idee der Gemeinökonomie sei man beispielsweise auf die Idee der Bürgerräte gestoßen. Zufällig ausgeloste Bürger und Bürgerinnen beraten in einer Sache, dann wird ein Bürgerforum ausgeschrieben, zu dem ausdrücklich jeder und jede eingeladen ist, mitzudiskutieren. Ziel ist es, möglichst viele Menschen mitzunehmen und bei der Umsetzung eine hohe Partizipation zu erreichen. Wenn man hört, was die Gemeinde alles auf die Beine stellt, scheint das zu funktionieren. Das hat auch mit dem Bürgermeister zu tun. Birner ist einer, der begeistern und gut zuhören kann. Er weiß, dass, wer in seinen Belangen gehört wird, auch bereit ist, sich einzubringen.
Ein solidarisches Miteinander liegt ihm spürbar am Herzen. „Wir gehören weltweit zu den fünf Prozent der Begünstigten, trotzdem ist es auch bei uns für manche schwierig“, erzählt er. Über einen Sozialfonds wird deshalb alljährlich eine Weihnachtshilfe für Ältere und Alleinerziehende bereitgestellt. Zwischendurch werden auch Heizkosten sowie der Kauf von Schulheften und neuen Schuhen übernommen. „Da kommt dann schon mal ein Tipp von einer Erzieherin oder Nachbarin. Die wissen oft am besten, wo es gerade fehlt. Unsere alten Damen im Ort würden ja lieber von Wasser und Brot leben, als sich im Sozialbüro zu melden.“
Mehr Mobilität auf dem Land
Das befindet sich im „Haus der Begegnung“, wie auch eine Arztpraxis, Gemeinschaftsräume für Veranstaltungen, eine ambulant betreute Wohngemeinschaft und ein Angebot für barrierefreies Wohnen. Senioren, die aus ihren großen Häusern ausgezogen sind und jungen Familien Wohnraum zur Verfügung gestellt haben, haben hier ein neues Heim gefunden. Niemand soll im Alter wegziehen müssen und den Anschluss an die vertraute Umgebung verlieren. Und weil für Menschen mit eingeschränkter Mobilität im ländlichen Raum schon wenige Kilometer ein Problem sind, steht auch ein ortsansässiger Taxidienst zur Verfügung. Finanziert von der Gemeinde kosten Arzt- und Einkaufsfahrten nur einen Euro. Das dient nicht zuletzt der Entlastung von berufstätigen Angehörigen, die sich für Fahrdienste nicht extra einen Tag Urlaub nehmen müssen.
Mehr zu diesem und anderen spannenden Projekten finden Sie in der deutschen und österreichischen Ausgabe unserer Zeitschrift.
Das Gemeinwohl
Auch in der katholischen Soziallehre ist es ein zentrales Prinzip. Das bonum commune, wie es bei Thomas von Aquin heißt, entspricht einem übergeordneten, vernünftigen und nicht zuletzt göttlichen Interesse, dem das Handeln des Einzelnen und das der Gemeinschaft verpflichtet ist. So verpachtete der Kirchanschöringer Pfarrer Ludwig Westermeier der Gemeinde günstig den Grund, auf dem das „Haus der Begegnung“ steht: „Schon Paulus sprach von der Gütergemeinschaft, dass alle miteinander etwas besitzen sollen. Das bedeutet, dass jeder ein Stück abgibt für die, die es in der Gemeinschaft brauchen.“