Ja, zu Weihnachten, da hing der Himmel voller Geigen und die Engel tummelten sich auf Erden. Aber am Karfreitag verdunkelte sich die Sonne und der Himmel zeigte sich nur abweisend. Von Engeln keine Spur.
In diesem Spannungsbogen bewegt sich unser aller Leben. Da gibt es so vielversprechende, hoffnungsfrohe Anfänge, wo der Himmel zum Greifen nahe ist – und dann diese enttäuschenden Abbrüche und dieses schmerzhafte Scheitern, wo unser Verzweiflungsschrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ im Leeren verhallt.
Engel tauchen noch zweimal zu Jesu Lebzeiten auf.
Einmal im Mund des Teufels bei Jesu Versuchung in der Wüste. „Darauf nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er um deinetwillen, und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es auch: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.“ (Mt 4,5–7) Jesus „verzichtet“ auf den Schutz der Engel, ehe er Gott durch eine Gottlosigkeit herausfordert.
Das zweite Mal geschieht es in Getsemani. „Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er betete in seiner Angst noch inständiger und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte.“ (Lk 22,43–44) In seiner schwierigsten Stunde, als es darum ging, in Gottes unergründlichen Willen einzuwilligen, war einer da. Nach dem Evangelisten Markus ist Jesus mit dem Gefühl der Gottverlassenheit und Sinnlosigkeit („Warum?“) gestorben. Vielleicht ist gerade daran alles gelegen.
Wozu ist Gott Mensch geworden? Wenn er es tat, um in die tiefsten Niederungen des Menschseins hinabzusteigen, in die Angst vor dem Tod, in die Verzweiflung am Widersinn (an den Ungerechtigkeiten dieser Welt) und in die Trostlosigkeit der Einsamkeit (des Verlassenseins „von Gott und der Welt“), dann ist er am Kreuz dort angekommen.
Und wenn er dort angekommen ist, um den Menschen genau dort Halt zu geben mit seiner Gegenwart, dann gibt es keine Gottverlassenheit mehr, dann ist Sinn noch im Unsinn und Leben im Tod.
Wenn „Erlöst-Sein“ heißt: keine Angst mehr haben vor dem Tod; einen Sinn erfahren, den alle Irrsinnigkeiten und Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht mehr auslöschen können; in einer Liebe stehen, die nicht mehr abhängig ist von Bedingungen, dann haben viele Menschen im Hinschauen auf den Gekreuzigten Erlösung gefunden.
Warum haben am Kreuz keine Engel gestanden? Um Jesus die Gottverlassenheit und Absurdität der Welt durchleiden zu lassen?