Steyler Schwestern über das Recht auf Lernen der Frauen in Indien
Viele Frauen in den Slums von Pune arbeiten für einen mageren Lohn als Hausangestellte, werden schikaniert, erleben häusliche Gewalt. Steyler Schwestern unterstützen sie, damit sie endlich gehört werden. Mit 14 musste Sunanda, 40, die Schule verlassen, um zu heiraten. Jetzt holt sie ihren Schulabschluss nach
Die Stufen führen steil hoch durch den Slum, dessen Hütten sich an den Hügel pressen. Am Ende des engen Pfades steht das Haus aus Stein mit einem Wellblechdach – ein Wohn- und Schlafzimmer plus Küche. Lächelnd empfängt Sunanda mit ihrem Mann Shinde die Besucher. Die Nachbarn schauen neugierig zu.
Jeder kennt die 40-Jährige hier. Sie nennen sie „Doktor“. Weil sie als staatliche Gesundheitsberaterin von Haus zu Haus geht, Familien über Krankheiten, Gesundheitsvorsorge, Impfungen informiert, Puls und Blutzucker misst. Die Anstellung bekam sie mithilfe von Streevani. Sie möchte gern Krankenschwester werden. Deshalb holt sie die Schule nach, besucht gerade die zwölfte Klasse.
Sunanda reicht den Besuchern Tee, den sie in der Küche mit den strahlend blau gestrichenen Wänden zubereitet hat. Hier ist alles liebevoll hergerichtet. Auf einem Regal hinter dem Bettsofa steht ein gerahmtes Hochzeitsfoto. Sunanda war 14, als sie verheiratet wurde. „Ich wäre lieber weiter zur Schule gegangen, musste aber gehorchen“, sagt sie ohne Bitterkeit in der Stimme. Kinderheirat ist das Schicksal vieler Mädchen in Indien. Sie zog zu ihrem Mann in den Slum, damals war das Haus nicht mehr als ein Verschlag. Ein Jahr später bekam sie ihr erstes Kind. Bei ihrem vierten war sie 19.
Mit Streevani zurück in die Schule
Mit Anfang 20 begann sie, als Hausangestellte zu arbeiten – erst in zwei Haushalten am Tag, für knapp 7 Euro im Monat. Später in 13. Ihr Monatslohn stieg daraufhin auf etwa 45 Euro. Mit der Lebensmittelkarte, die die Armen vom Staat erhalten, und dem Gehalt des Mannes kann eine Familie damit gerade so über die Runden kommen. Vor zehn Jahren trat sie als eine der Ersten in ihrem Slum der Gewerkschaft bei. Sie warb in kürzester Zeit 151 neue Mitglieder, wurde zum Gesicht der Organisation. Mit Streevani nahm sie an großen Demonstrationen in Mumbai und Neu-Delhi teil, um für eine Rente der Haushaltshilfen zu kämpfen. Und fand schließlich den Mut, wieder zur Schule zu gehen. Während sie über ihr Engagement bei Streevani berichtet, strahlt ihr Mann Shinde, 53, sie ununterbrochen an. „Ich bin so stolz auf sie und unterstütze sie bei ihrer Gewerkschaftsarbeit, so gut ich kann.“
Sie habe Streevani so viel zu verdanken, sagt sie zum Abschied. „Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich bin. Ich war ungebildet und durfte so viel lernen. Jetzt kann ich vor anderen reden, sie überzeugen. Sie haben mir eine Stimme gegeben.“ Auch wenn sie nicht mehr als Haushaltshilfe arbeitet, bleibt sie Streevani treu. „Es ist meine Familie.“