Neulich wollte ich ein Bild aufhängen. Kein schweres Gemälde, nur ein Foto der Enkel. Erst hämmerte ich vorsichtig auf den kleinen Nagel, aber die Wand erwies sich als überraschend widerspenstig. Also versuchte ich es mit kräftigeren Schlägen. Der letzte sauste auf meinen Daumen nieder. Ich rannte in die Küche, um ihn unter kaltem Wasser zu kühlen, aber dazu kam es erst mal nicht. Der Küchenboden stand unter Wasser. Still und heimlich hatte sich der Siphon selbstständig gemacht.
Vielleicht denken Sie, ich hätte zwei linke Hände oder sei ein Pechvogel. Das bin ich nicht, aber mit Missgeschicken und Pannen kenne ich mich aus. Glücklicherweise. Denn aus gutem Grund bleibt uns oft mehr in Erinnerung, was schiefging, als Dinge, die ganz perfekt abliefen. Natürlich gibt es in meinem Leben auch schöne Überraschungen. Einmal machte ich Ferien auf einem Bauernhof, als plötzlich ein Kälbchen durch die offene Terrassentür in mein Zimmer stakste. Es sah genauso verwundert aus wie ich.
Wenn Missgeschicke zu Gutem führen
Es ist schon so, dass das Leben ohne eine Portion Unerwartetes und Ungeplantes ein wenig langweilig wäre. Dann gäbe es auch nicht diesen köstlichen französischen Apfelkuchen, den man Tarte Tatin nennt. Eine der Schwestern Tatin, die im 19. Jahrhundert in einer französischen Kleinstadt ein Restaurant betrieben, soll in aller Eile einen Apfelkuchen versehentlich umgestürzt und dann rasch mit den Äpfeln nach unten in den Ofen geschoben haben. Wenn die Geschichte stimmt, haben wir diese Spezialität also einem Missgeschick zu verdanken.
Die Tarte Tatin ist ein Beispiel für das, was man im Fachjargon Serendipität nennt. Damit sind überraschende Entdeckungen aller Art gemeint, die auf einen Zufall, eine Ungeschicklichkeit oder Unachtsamkeit zurückzuführen sind.
Ein schönes Beispiel dafür ist auch die Entdeckung des Penizillins. Der Bakteriologe Alexander Fleming wollte eigentlich nur sein Labor aufräumen, als er feststellte, dass sich auf einer Platte mit einer Bakterienkultur Sporen von Schimmelpilzen niedergelassen hatten, die das Wachstum der Bakterien verhinderten. Eine kleine Nachlässigkeit. Doch was er daraus machte, hat seitdem Millionen Menschen das Leben gerettet.
Praktisch, aber etwas ungesund: unser Verlangen nach Planbarkeit
Komisch, dass das Unerwartete trotzdem so in Verruf geraten ist. Kinder lieben Überraschungen, aber der erwachsene Mensch von heute zieht das Kalkulierbare dem Unwägbaren vor. Wir wollen Sicherheit. Das menschliche Gehirn liebt und braucht aber Überraschungen, sonst lernt es nichts Neues. Sich auf sie einzulassen müssen wir möglicherweise erst wieder üben.
Lassen wir doch einfach etwas mehr Überraschung in unser Leben. Indem wir oft einmal Unerwartetes für andere tun und alles Unerwartete, das uns ereilt, erst mal mit heiterer Gelassenheit betrachten statt mit Argwohn.
So können wir uns selbst die größte Überraschung bieten. Denn wir sind mutiger und ausdauernder, großzügiger, nachsichtiger, hilfsbereiter, als wir dachten. Wenn ich die Worte „Du sollst dir kein Bildnis machen“, die sich ja nicht allein auf Gott, sondern auch auf uns Menschen beziehen, richtig verstehe, steckt darin auch die Aufforderung, uns überraschen zu lassen. Von Gott, vom anderen, von uns selbst. Und von diesem bunten, wunderbaren Leben.
Mehr Überraschendes finden Sie in unserer Zeitschrift.